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„Gorki wird platt gemacht“

Revolution Mit „1917 – der wahre Oktober“ erzählt Katrin Rothe die Zeit zwischen der Abdankung des Zaren und dem Sieg der Revolutionäre mit den Mitteln des Animationsfilms: Denn die erwecken längst verstorbene ZeitzeugInnen zum Leben – und können gut an avantgardistische Ästhetik anknüpfen

Interview Wilfried Hippen

taz: Frau Rothe, wie sind Sie auf die Idee gekommen, einen dokumentarischen Animationsfilm über die revolutionäre Zeit von Februar bis Oktober 1917 in St. Petersburg zu machen?

Katrin Rothe: Ich wollte schon immer die russische Revolution so darstellen, dass man sich dabei die Menschen vorstellen kann, also anhand von Zeitzeugenberichten und lebensnah. Ich wollte nicht erklären oder bewerten, sondern zeigen, was passiert ist. Und die Idee, dies so zu machen, kam mir ganz plötzlich als ich sah, wie bunte Papierschnipsel aus einem dicken Geschichtsbuch, das ich gerade las, herausfielen. Das passte auch wegen der russischen Kunst aus jener Zeit.

Inwiefern?

Damals ist ja eine ganz neue Art von Kunst entstanden, die sehr farbig ist. Die Werbeästhetik wurde damals erfunden und diese Ursprünge kamen nicht aus dem Nichts, sondern sie entsprangen den Erlebnissen und Erfahrungen der Künstler. So kam mir dann die Idee, in dieser Form von der Revolution zu erzählen und sich dabei auf die Texte von Künstlern zu beschränken. Beim Lesen ihrer Texte bekommt man eine Vorstellung von ihnen und so formt sich das Bild von diesen Menschen aus dem heraus, was man liest, also aus dem Papier. Bei mir kommen jetzt die Künstler aus ihren Büchern heraus.

In einer Sequenz klemmt der Großdramatiker Maxim Gorki ganz hilflos zwischen den Bänden seiner Gesammelten Werke …

Genau, Gorki wird platt gemacht durch seine Bedeutungsschwere.

Sie selber sind ja auch in dieser Bibliothek: Man sieht Sie auch, wie Sie Bilder und Schilder mit Daten an eine Wand kleben oder einen Scherenschnitt ausschneiden, der dann im Film animiert wird. Warum treten Sie selber als einzige Figur in Realfilm auf ?

Mir war dann schon früh klar, dass ich nicht alles von der Revolution erzählen konnte und wollte. Ich kann mich der Wahrheit nur annähern – ich hatte einen Schnipselhaufen und mit dem habe ich gearbeitet. Und um diese Einschränkung transparent zu machen, musste ich auch selber im Film sein.

Aber warum versprechen Sie dann im Titel den „wahren Oktober“? Ist das nicht anmaßend?

Da gibt es ja zwei Ebenen. Wenn mein Film eine wissenschaftliche Arbeit wäre, dann wäre auch dieser Titel unmöglich, denn in der Wissenschaft weiß jeder, dass es die Wahrheit gar nicht gibt. Ich musste in der Schule in der DDR viel über die russische Revolution auswendig lernen, und nach der Wende habe ich mich dafür überhaupt nicht mehr interessiert. Dann kam die Finanzkrise, und „Das Kapital“ war plötzlich ausverkauft, weil es die Leute überall wieder gelesen haben. In dieser Zeit wurde ich neugierig und wollte tatsächlich die Wahrheit über die russische Revolution wissen.

Dann ist Ihr Film keine Auftragsarbeit von Arte, wo er am Themenabend zum 100. Jahrestag der Oktoberrevolution ausgestrahlt wird?

Nein, ich habe mich hingesetzt und gesagt, das ist mein nächstes Projekt. 2013 habe ich dann zum ersten Mal der Redakteurin von Arte davon erzählt. Dann erst haben wir nachgerechnet und gesehen, dass es 2017 diesen Jahrestag gibt.

Sie zitieren aus Texten von fünf ProtagonistInnen: Maxim Gorki, Wladimir Majakowski, Kasimir Malewitsch, Alexander Benois und vor allem aus dem Tagebuch der weitgehend unbekannte Lyrikern Sinaida Hippius. Wie sind Sie auf die gestoßen?

Ich was schon mitten in den Recherchen, und dann ist dieses Buch von ihr im Aufbauverlag erschienen. Da hatte ich dann immerhin ein komplettes Tagebuch auf Deutsch vorliegen. Es ist eigentlich ein Skandal, dass sich viele namhafte Historiker auf die Fakten, die sie niedergeschrieben hat, beziehen, ohne sie dabei zu erwähnen. Als Filmemacherin regt mich auf, dass sie als Frau vergessen wurde.

Sie haben jede Figur aus unterschiedlichen Materialien wie Holz oder Filz gebastelt. Worauf kam es Ihnen dabei an ?

Uns war die Materialität wichtig, und uns war der Zeitbezug wichtig. Deswegen sind beispielsweise die Kleider von Sinaida Hippius aus Plastikfolie und Schokoladenpapier. Die hatte ursprünglich ein wunderschönes weißes Kleid, aber das passte nicht, denn sie war eine sehr moderne Frau, eine Avantgardistin.

Und ihre Locken sind aus Wellpappe …

Katrin Rothe

47, in Gera, Thüringen geboren, studierte in den 90er-Jahren experimentelle Filmgestaltung an der Hochschule der Künste, Berlin. Für ihre Dokumentationen „Stellmichein“ und „Betongold“, die auch zum Teil animiert wurden, bekam sie Grimmepreise.

Ja, das war auch eine spontane Idee von mir.

Malewitsch haben Sie aus bunten Farbflächen zusammengesetzt. Er sieht so aus, wie er sich damals selbst gemalt hätte.

Das ist auch ein Kostümentwurf von ihm selber. Er hat ja nur ein paar Minuten in Film und deswegen konnte ich bei ihm auch mit einem etwas abstrakteren Entwurf der Figur arbeiten.

Wie würden Sie Ihre Animationstechnik nennen?

„Legetrick“ ist eine alte deutsche Bezeichnung dafür und „cut out animation“ lautet der internationale Begriff. Ich finde, unter der Bezeichnung „Collagetrickfilm“ kann sich der Zuschauer am ehesten etwas vorstellen.

Sie arbeiten mit sehr verschiedenen Arten von Filmmusik, Sounddesign, Geräuschemachern und sogar einem beat-boxer arbeiten. Wo und warum haben Sie den eingesetzt?

Der passte meiner Meinung nach gut zu Majakowski. Der war für mich der erste Rapper oder Poetry Slammer, denn er hat seine Straßenagitation in Form von Reimen gemacht. Es gab damals viele Analphabeten und wenn Informationen weitergegeben werden sollten, hat man das oft in Reimform gemacht, damit man es sich besser merken konnte. Und wenn nun bei uns dazu der Beatboxer seine Musik und seine Geräusche macht, unterstreicht das auch, dass wir von heute aus auf diese Zeit gucken.

„1917 – der wahre Oktober“ hat die Bremer Maxim Film mit Nordmedia-Förderung produziert. Kinostart ist heute

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