: Zerborstene Steine
Kunst Die Ausstellung „Kopf hoch! Mut hoch! Und Humor hoch!“ von Rayyane Tabet in der daadgalerie verknüpft auf berührende Weise syrische und deutsche Ausgrabungs- und Kriegsgeschichte
von Tom Mustroph
Zuweilen lässt sich große Geschichte sehr gut in kleinen Fragmenten erzählen. Der libanesische Künstler Rayyane Tabet hat Trümmer der Basaltstatuen aus dem syrischen Tell Halaf mittels Abreibung per Kohlestift auf Papier übertragen. Die Skulpturen selbst wurden zwischen 1911 und 1929 vom Berliner Bankiersspross und Amateurarchäologen Max Freiherr zu Oppenheim in Syrien ausgegraben. Sie stammen aus assyrischer Zeit, etwa 900 Jahre v. u. Z., und lagen knapp drei Jahrtausende im Erdreich.
Die Objekte gingen seinerzeit zur Hälfte nach Berlin, wo Oppenheim nach Absage durch das Pergamonmuseum ein eigenes Museum eröffnete, und nach Aleppo. Dort bildeten sie den Grundstock des Nationalmuseums.
Die Werke in Berlin fielen dem Bombenkrieg des 2. Weltkriegs zum Opfer. „Es waren nicht so sehr die Phosphorbomben der Luftangriffe, die das Gestein zerstörten. Ursache war vielmehr die Rettungsaktion durch die Feuerwehrleute. Der Kontakt mit dem kalten Wasser ließ das aufgeheizte Gestein zerbersten“, erzählt Tabet der taz. Die Trümmer wurden eingelagert.
Spuren des Feuers
Erst nach dem Mauerfall, als die Erben Oppenheims, die im Westen lebten, wieder Zugang zu den im Osten eingelagerten Trümmern hatten, begann die mühsame Rekonstruktion. 2011 wurden die Ergebnisse in einer Aufsehen erregenden Ausstellung in Berlin präsentiert. Einige Objekte wurden auch dauerhaft ins Pergamonmuseum übernommen. Für den kurzen Zeitraum von zwei Jahren waren damit die Sammlungsbestände von Berlin und die aus Aleppo gleichzeitig der Öffentlichkeit zugänglich.
Der Krieg in Syrien beschädigte aber das dortige Museum beträchtlich. Aus dem Jahr 2013 sind noch Aufnahmen des Eingangstores mit drei monumentalen Statuen aus Tell Halaf überliefert. Sie sind auf der Fotografie aber bereits mit Sandsäcken geschützt. Im Juli 2016 veröffentlichte die syrische Antikenverwaltung einen Bericht über das Ausmaß der Zerstörungen. Fotos zeigten ein großes Bombenloch im Dach des Museums und zahlreiche Verwüstungen im Inneren. Die Ausstellungsstücke seien aber bereits 2015 in sichere Lagerräume in Damaskus gebracht worden, hieß es in dem Statement. Über den aktuellen Zustand der Sammlung ist aber nichts bekannt.
Für Tabet ist die Komplementarität der Ereignisse von großer Faszination. „1943 wurde der Berliner Teil der Sammlung zerstört und verschwand in Lagerräumen. In Aleppo waren die Werke aus Tell Halaf jedoch zu sehen. Als in Berlin die rekonstruierten Objekte gezeigt wurden, dauerte es aber nicht mehr lange, bis der Krieg in Aleppo das Museum und die Sammlung heimsuchte“, erklärt er.
Berlin und Syrien seien durch ein besonderes Band verbunden, so sieht er das. Ihn selbst verbindet mit Tell Halaf eine Familiengeschichte: „Mein Urgroßvater war Sekretär Oppenheims während eines Teils der Grabungen. In meiner Familie gab es auch das Buch von Oppenheim über Tell Halaf, aber niemand konnte es lesen, weil es auf Deutsch war.“
Während seines daad-Stipendiums in Berlin brachte Tabet das Buch mit. Und er knüpfte Kontakt zu den Berliner Restauratoren. Die gestatteten ihm schließlich auch, die Frottagen an den Bruchstücken abzunehmen. „Es handelt sich um die 2.000 Bruchstücke von insgesamt 27.000, die die Archäologen nicht zuordnen konnten. Sie befanden sich meist im Inneren der Statuen, was die Lokalisierung erheblich erschwerte“, erzählt er. „Das ist ja der Teil, den man sonst nicht sieht. Durch die Zerstörung kam er nun hervor. In sich tragen sie auch die Energie des Feuers“, erläutert er.
Etwa 500 dieser Frottagen sind in der Galerie zu sehen. Man kann die Rauheit des geborstenen Gesteins erkennen. Zuweilen fallen auch regelmäßigere Strukturen ins Auge, mutmaßlich von den alten Bildhauern bearbeitete Außenflächen. Präsentiert werden sie auf vertikal gekippten Europaletten – in Anlehnung an die Arbeitssituation der Restauratoren.
Die Frottagetechnik wandte Tabet auch auf Reliefplatten an, die als Fries die Tempel von Tell Halaf umgaben. Einzelne Tiere, Pflanzen und auch Menschen sind darauf zu erkennen. Durch die Frottagetechnik wirken die Abbildungen zweidimensional, erinnern an raue Comics, mehr noch an steinzeitliche Höhlenzeichnungen.
In Zukunft plant Tabet, auch noch nach London und in die Vereinigten Staaten gelangte Bestandteile der Ausgrabungen von Tell Halaf mit dem Abreibeverfahren auf Papier zu bringen und so mit den Berliner Beständen zumindest in Kopienform zu vereinen. Eine für März geplante Reise nach Syrien sagte er wegen Veränderungen der Sicherheitslage ab.
daadgalerie, Oranienstraße 161, Di.– So. 12–19 Uhr, bis 11. Juni
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