Verwirrung in der Dunkelheit

Videokunst In der Ausstellung „2 oder 3 Tiger“ im Hausder Kulturen der Welt beschäftigen sich neun Künstleraus Südastasien mit dem Verdrängten

Minouk Lim, „S.O.S.-Adoptive Dissensus“, 2009, Videostill: Arbeitslose demonstrieren am Han-Fluss Foto: HKW

von Katrin Bettina Müller

Die Sache ist vertrackt. Kein Wunder, geht es doch in der Ausstellung „2 oder 3 Tiger“ im Haus der Kulturen der Welt um vielerlei Verdrängtes. Neun Künstler aus Südostasien beschäftigen sich vor allem in Video-Installationen mit dem politisch gewollten Vergessen, mit verleugneten Kriegsverbrechen oder mit vertriebenen Gottheiten. Auf der Seite der Verdränger findet man die westlichen Kolonialmächte, aber auch Japan, die USA im Zweiten Weltkrieg, die chinesische Kulturrevolution und den Kommunismus. Und auf der Seite der Vertriebenen findet man Geheimnisse eines Flusses, Frosch-Gottheiten, Tiger, Sexsklavinnen und wieder den Kommunismus. Eben, die Sache ist vertrackt.

Kuratiert haben die Ausstellung Anselm Franke, Leiter des Bereichs Bildende Kunst und Film am HKW, und Hyunjin Kim, die in Seoul lebt. Anselm Franke verfolgt seit einigen Jahren die Beziehungen zwischen den unterschiedlichen Phänomenen, die mit dem Begriff Medien genannt werden: Dabei sucht er nach Bezügen zwischen den modernen Massenmedien und ihrer Technologie einerseits und den spirituellen Medien in Ritualen, Schamanismus und Magie andererseits. Und mit diesem Interesse findet er eben viel Stoff bei den ausgewählten Künstlern.

Vertriebene Frosch-Gottheit

Zum Beispiel bei Chia-Wei Hsu, der in Taipeh arbeitet: Seine Video-Installation „Spirit-Writing“ erzählt mit einer Tonspur und zwei verschiedenen Bilderstrecken von der Vertreibung der Frosch-Gottheit Marschall Tie Jia aus China während der Kulturrevolution. Er wurde ins Exil nach Taiwan gezwungen. Auf der einen Seite der Videoinstallation sieht man eine digital entworfene Landschaft aus Hügeln und Bäumen, mit einem Tempel, in der der Gott nun wohnen könnte; und einen merkwürdig darin herumfuhrwerkenden Thron. Man hört Klopfgeräusche und Stimmen und liest in englischen Untertiteln, was die Männer auf der anderen Seite der Leinwand, die ebendiesen tragbaren Thron bewegen, reden.

Die Geschichte verstehen und sich zusammensetzen kann man aber erst, wenn man dann noch aus dem Begleitheft erfährt, dass die Dorfbewohner in der neuen Heimat des Gottes als Ritual seinen Thron durch die Gegend tragen und er über Klopfgeräusche mit ihnen kommuniziert.

Man braucht also ziemlich viel Erklärung, um sich überhaupt ins Bild zu setzen. Während Anselm Franke, der über „Spirit-Writing“ in der Zeitschrift Art Review Asia geschrieben hat, sich mit Begeisterung in die Denkfigur stürzt, was denn diese Verschiebung zu bedeuten hat: Ein vertriebener Gott erhält mit modernster Technologie eine neue Heimat?

Der Ausstellungsbesucher ist aber erst mal vermutlich ohne diesen Reflexionshorizont und ohne all das Vorwissen über die komplexe Geschichte, in der es oft auch um territoriale Ansprüche geht, unterwegs. 300 Minuten Video-Installation, schnell gesprochene Texte in südostasiatischen Sprachen, schnell zu lesende englische Untertitel: Man braucht schon viel guten Willen für diese Arbeit.

Die Bilder der Künstler geben den Augen und der Vorstellungskraft viel zu tun

Dabei geben die Bilder der Künstler den Augen und der Vorstellungskraft schon viel zu tun. Die koreanische Multimedia-Künstlerin Minouk Lim entfaltet über drei Screens im Video „S.O.S. – Adoptive Dissensus“ eine nächtliche Fahrt über den Han-River mit einem Touristen-Schiff. Suchscheinwerfen gleiten über die betonierten Ufer, die Hochhäuser und Autobahnen Seouls leuchten im Hintergrund, Baustellen deuten das Wachsen des Molochs an. Ein junges Paar tanzt im Licht des Scheinwerfers, junge Leute laufen im Kreis, von denen man nachlesen kann, dass es eine mitternächtliche Demonstration arbeitsloser Jugendlicher sei. Im Off erzählen verschiedene Stimmen von gestohlenen Geheimnissen und allmächtiger Überwachung. Eine verwirrende Vielfalt in der Dunkelheit.

Das ist auch zunächst so bei der Arbeit „One or Several Tigers“ von Ho Tzu Nyen, die das HKW bei dem Künstler aus Singapur in Auftrag gab. Ein Tiger und ein Wertiger, ein Wesen der Transformation, sind die Protagonisten, als animierte Figuren auf zwei Leinwänden präsent. Der Tiger singt manchmal große Oper, Wortspiele zwischen „we’re tigers“ und Wertiger, Inserts erscheinen – „a human is not a being, but a place of endles decisions“. Der Wertiger geht auf die Figur eines britischen Landvermessers zurück, der einen Plan von Singapur entwarf. In einer historischen Illustration von 1865 ist dargestellt, wie ein Tiger sein Vermessungsinstrument angreift.

Diese Lithografie ist die Urszene, aus der Ho Tzu Nyen seine Bilder und Erzählungen entwickelt. Das entschlüsselt sich allmählich beim Schauen des Videos, das auch mit skurrilem Humor und einer großen Lust an der Transformation und dem Geheimnis erzählt.

Den eigenen Bezugsrahmen auch für Außenstehende aufzuschließen, ist in anderen Arbeiten aber nicht angelegt. Sie scheinen dann doch interessanter als Diskussionsbeitrag für das begleitende Symposium denn als Ausstellung für ein breiteres Kunstpublikum.

HKW, Mi.–Mo., 11–19 Uhr, bis 3. Juli