: Artisten unter der Zirkuskuppel, machtlos
AUSSTELLUNG„Circus. Freiheit. Gleichschaltung“ im Museum Europäischer Kulturen befasst sich mit Zirkuskünstlern im NS
Fahrende Künstler haben schon früh Grenzen überschritten und Gesellschaften miteinander verbunden. Zirkuskünstler galten als Kosmopoliten, das Zirkusmilieu war von Beginn an heterogen und stand für Freiheit. Weil dies so gar nicht mit der Rassenideologie der Nazis zusammenpasste, hatten es Zirkuskünstler im Nationalsozialismus schwer. Ähnlich wie das Theater und das Kino wurde auch der Zirkus 1933 gleichgeschaltet. Viele Zirkusartisten bekamen Berufsverbote, viele wurden deportiert.
„Über die Gleichschaltung von Zirkussen und die Opfer ist heute wenig bekannt“, sagen Ines Rosemann und Roxana Küwen vom Performancekollektiv Circus im Nationalsozialismus (CiNS) – ihre Gruppe wird während der Ausstellung „Circus. Freiheit. Gleichschaltung“ im Museum Europäischer Kulturen in Dahlem einen Auftritt haben. „Anders als andere Kunstformen wurde die Geschichte des Zirkus im Nationalsozialismus bis heute nicht aufgearbeitet“, sagen die beiden.
Sie verweisen darauf, dass viele Zirkusfamilien nie Entschädigungen bekommen haben – von einem Großteil wisse man schlicht nichts. Das hänge auch mit der Tatsache zusammen, dass „fremdländische Künstlernamen“ im Zuge der Gleichschaltung der Nazis ersetzt und Zirkusse umbenannt wurden.
Für die am heutigen Donnerstag beginnende Ausstellung haben sich die Kuratoren der CiNS-Gruppe mit der an fünf Universitäten länderübergreifend arbeitenden Forschungsgruppe „Diverging Fates. Travelling Circus People in Europe During National Socialism“ zusammengetan. Die internationale Forschungsgruppe folgt den Spuren der Zirkuskünstler in unterschiedlichen Ländern.
So widmet man sich in der Schau zum Beispiel der Lebensgeschichte des Akrobaten und Musikers Josef Freiwald. Der Sohn einer Sintezza und eines Jenischen wurde in dem Durchgangslager Westerbork und in Auschwitz-Birkenau inhaftiert. Als er 1944 zum Transport in das KZ Buchenwald eingeteilt wurde, gelang ihm die Flucht.
Die Ausstellung soll dabei stetig erweitert und fortentwickelt werden. Die Mitglieder der CiNS-Gruppe sind selbst Zirkusschaffende und haben ihre Stellwände bislang schon an unterschiedlichen Orten aufgebaut – auf Festivals, in Kulturzentren und in Synagogen.
Versteckt im Zirkus Althoff
Aufgestellt zu einem Kreis und von einem roten Tuch umhängt, symbolisieren die rot-blauen Stellwände ein Zirkuszelt. Der CiNS-Gruppe soll dies als Kulisse dienen, wenn sie am 21. Mai – zum Abschluss der Ausstellung – ihre begleitende Performance aufführen. In dieser erzählen sie die Geschichte der jüdischen Zirkusreiterin Irene Bento. Bento hatte sich zu NS-Zeiten im Zirkus Althoff versteckt und so überlebt. Ein Zirkuswagen mit drei Abteilen wurde für Bento und ihrer Familie zum Fluchtort.
Viele große Zirkusse haben die Zeit zwischen 1933 und 1945 aus ihrer Erinnerung gestrichen, sagt Küwen. Zirkusunternehmen wie Sarrasani und Circus Krone hätten mit den Nazis kooperiert, „Nichtarier“ entlassen und ihre Manegen für Propaganda freigegeben. Der Zirkus Althoff wurde für die Rettung der Bentos von Israel geehrt.
Lea Diehl
„Circus. Freiheit. Gleichschaltung“. Bis 21. Mai, Museum Europäischer Kulturen, Dahlem
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