: „25 Millionen Gründe“
„Wir sprechen nicht von Märtyrern oder Freiheitskämpfern“: Geschäftsführer Jean Claude Boulos vom irakischen TV-Sender al-Sumaria über politische Neutralität und positive Nachrichten
INTERVIEWALFRED HACKENSBERGER
taz: Herr Boulos, „Von Irakern, für Iraker“ lautet der Slogan von al-Sumaria. Der Besitzer kommt aber aus dem Libanon und produziert wird auch in Beirut. Passt das zusammen?
Jean Claude Boulos: Ja, warum nicht. Es gibt viele irakische TV-Sender, die aus Dubai oder Kuwait senden. Als wir vor einem Jahr starteten, waren die technischen Voraussetzungen für eine perfekte Produktion nicht gegeben. Für den libanesischen Investor lag es nahe, den Standort Beirut zu wählen. Außerdem wollten wir vermeiden, möglicherweise im Irak zur Zielscheibe zu werden.
Ließen sich denn Gründe finden, Ihren Sender anzugreifen?
Nein, eigentlich nicht. Wir sind politisch nicht interessiert. Wir sind ein TV-Sender, den man generalistisch nennen könnte. Neben unserem Unterhaltungsprogramm haben wir zwar täglich 45 Minuten Nachrichtenbulletin und Talkshows über aktuelle Ereignisse, aber ohne politische Zielrichtung oder irgendwelche Sympathien. Wir sind nicht für und nicht gegen jemand.
Gibt es keinen Druck von den zahlreichen politischen und religiösen, teilweise sehr radikalen Gruppierungen im Irak?
Sehen Sie, wir bekommen unsere Nachrichten aus dem Irak. Unsere Leute dort wissen genau, wie man die Nachrichten managt. Ob Schiiten, Sunniten, Kurden oder die Regierung, alle werden gleich behandelt. Wir sprechen nicht von einer Okkupationsarmee, sondern von der US-Armee. Bei uns gibt es auch keine Märtyrer oder Freiheitskämpfer. Wir versuchen, bei niemand anzuecken und für niemanden Partei zu ergreifen.
Neutralität ist also das Besondere an al-Sumaria?
Das ist nicht der einzige Unterschied. Im Gegensatz zu anderen irakischen Sendern zeigen wir auch das Positive. Im Irak sterben nicht nur Menschen, sie leben auch. Es gibt also 25 Millionen Gründe, eine andere Seite des Irak zu zeigen, die nichts mit Bombenexplosionen zu tun hat. In den Nachrichten kommt man nicht drum herum, aber im Rest des Programms zielen wir auf das tägliche Leben. Im Ramadan zeigten wir ein Kinderfest mit Karussellen und Clowns, während zur selben Zeit in Falludscha jeden Tag 25 Menschen starben.
Statt Bilder des Tods zeigen sie Images lachender Kinder?
Nicht nur das. Wir befassen uns auch mit den Problemen der Iraker und zeigen ihnen, wie man sie lösen kann. Wir geben praktische Lösungsvorschläge für Alltagsprobleme. Daran kann man auch sehen, dass wir ein Sender für Iraker sind.
Auch wenn al-Sumaria in Beirut gemacht wird?
Im Libanon haben wir zehn Iraker, die die Programme präsentieren. Man hat das Gefühl, als würde alles direkt im Irak gemacht. Tatsächlich sind es mittlerweile 80 Prozent des Gesamtprogramms, die im Irak produziert werden. Dort arbeiten 150 Mitarbeiter, gut 50 davon sind alleine Sicherheitspersonal.
Gab es Vorfälle?
Direkt gegen den Sender bisher nicht. Das Sendegelände soll in einem überschaubaren Gebiet liegen, gut zu bewachen, habe ich mir sagen lassen. Ich war ja noch nie dort. Aber unglücklicherweise wurde eine Mitarbeiterin auf dem Weg zur Arbeit im Taxi getötet, als am Straßenrand eine Bombe explodierte. Das war für uns alle ein Drama.
Was für Sendungen produzieren Sie selbst?
Zurzeit sieben Serien. Alle mit irakischen Schauspielern, Regisseuren, Produzenten, Kameraleuten – und alles im Irak.
Was sind das für Stoffe?
Historische Geschichten aus dem Irak, die weit zurück gehen, aber auch einige, die die Zeit Saddam Husseins aufgreifen und das Unterdrückungssystem und seine Verbrechen zeigen.
Wie verdient man als Fernsehsender in einem kriegsgeplagten Land sein Geld? Gibt es große Firmen, die für Werbespots bezahlen?
Nein, das gibt es so gut wie nicht. Werbung für größere Marken soll kommen, so wurde es uns zumindest versprochen. Wir hoffen, dass es im Ramadan, dem besten Werbemonat des Jahres, losgeht. Die meisten Spots kommen bisher von der Regierung. Sie hatte sich bereits im ersten Monat nach Sendestart bei uns gemeldet. Damals bereiteten sie die Wahlen vor und wollten über gefährliche Situationen aufmerksam machen. Danach gab es Spots, wie man Elektrizität bekommt oder über die Rekrutierung für den Polizeidienst.
Bekommen alle irakischen Sender diese gut bezahlten Spots der Regierung?
Ja, ich denke schon.
Haben Sie schon Einschaltquoten vorliegen?
Es wird daran gearbeitet, was aber unter den gegenwärtigen Umständen nicht so einfach ist. Wir sind zwar der beste irakische Sender, aber an erster Stelle können wir nicht stehen, dazu muss man über Antenne, wie beispielsweise al-Dschasira, zu empfangen sein. Wir liegen aber auf einem der vorderen Plätze. Wir bezeichnen uns als der bevorzugte Sender im Irak.