: Der Tanz des Ungenügens
KUNST In der Galerie im Turm entstehen produktive Resonanzen zwischen einer Gallerina, fehlerhaften Avataren und hybriden Objekten
von Julia Gwendolyn Schneider
Als Einladung zur Ausstellungseröffnung von „A Gallerina’s Dream (Arbeitstitel)“ verschickte der Künstler Stefan Panhans einen YouTube-Link. Dahinter verbarg sich seine neueste Arbeit für ebenjene Ausstellung, die er gemeinsam mit Andrea Winkler ausrichtet. Im Video kündigt eine „Gallerina“ die Ausstellung an: Sie trägt die Pressemitteilung vor, die allerdings kaum Parallelen mit dem ausgelegten Pressetext aufweist, wie sich später herausstellen sollte. Ganz im Sinne eines performativen „Work-in-Progress“-Ansatzes beziehen sich die zwei unterschiedlichen Textfassungen auf verschiedenen Stadien der von Celina Basra kuratierten Ausstellung.
Basra ist gemeinsam mit Melina Gerstemann als wissenschaftliche Volontärin von 2016 bis Ende 2017 in der Galerie im Turm tätig. Aktuell wollen die beiden Kuratorinnen die komplexen Beziehungen von Arbeitsbedingungen, Kunst- und Ausstellungsproduktion thematisieren. Zum Auftakt verwandelten sie die Galerie in einen halb fiktiven, halb realen Arbeitsplatz und rücken nun die Galerieassistentin in den Fokus. Wer von außen ins Schaufenster der Galerie am Frankfurt Tor schaut, sieht sie dort sitzen. Die Gallerina in ihrem weißen Pullover als Arbeitsoutfit hat gleichsam ihre eigene Ausstellung. In der Galerie im Turm ist sie die Ouvertüre für das, was sich hinter den blickdichten Vorhängen abspielt, allerdings vermittelt der Film mit der subversiven Pressemitteilung, der bei ihr auf einem iPad anzusehen ist, gar nicht die dort gezeigten Werke.
Den Pressetext hat zwar die Kuratorin geschrieben, dennoch kommt ihr überzogener Sprachduktus und collagenhafter Gestus dem Schreibstil des Künstlers sehr nah. Die Sogkraft des Films entsteht aber auch, wie in so vielen Arbeiten von Panhans, durch die Schauspielerin Lisa Marie Janke. Ihre Stimme wickelt uns um den Finger, während Basras Text sich permanent selbst demontiert. Er lädt zu einer „asbolutely fabulous“ Ausstellung ein, die es geben wird, sobald feststeht, was denn überhaupt gezeigt werden soll.
Der Pressetext ist mehr Projektskizze denn fertig Ankündigung und möchte nichts auf den Punkt bringen, obwohl das von ihm erwartet wird. Und auch die offizielle Pressemitteilung ist ein Hybrid zwischen Ankündigung und kuratorischem Statement, die kein fertiges Produkt anpreist. „Es ist eben kein perfekt geschnürtes Paket, wo du reinbeißen kannst und mit einem Biss alles hast“, meint Basra zu ihrer Herangehensweise. Aber genau damit trifft sie einen wesentlichen Kern der Ausstellung: In den Werken von Winkler und Panhans steht die Freiheit des Zauderns, der Uneindeutigkeit und sogar der Fehlerhaftigkeit an vorderster Front.
Für Panhans experimentellen Film „Freeroam À Rebours, Mod#I.1“ (2016) bilden Fehlerszenarien aus dem berühmten Computerspiel „Grand Theft Auto“ den Ausgangspunkt. Zwischen Videoclip, Performance und zeitgenössischem Tanz oszillierend, basiert der Film auf Formen des Unvermögens im Verhalten menschengesteuerter Avatare. Die Unkonzentriertheit der realen Personen, die die virtuellen Spielfiguren steuern, erzeugt Fehlbewegungen im Algorithmus der Figuren. Damit sind Stillstand und Zögerlichkeiten gemeint, die den permanent handlungsorientierten Bewegungen des fast reinen Action-Spiels zuwiderlaufen und den perfekten Spielfluss stören. In Panhans’Video kopieren Tänzer und Schauspieler die Fehler im Bewegungsalgorithmus der Game-Avatare und zelebrieren diese Momente in einem Tanz des Ungenügens, der Bewegungen richtungslos hin und her wabern lässt und jegliche Zielorientiertheit gegen den Strich bürstet.
Viele Szenen beziehen sich auf Inszenierungsorte aus dem Computerspiel, die Performer tauchen aber auch in zwei abstrahierten Settings auf, die Andrea Winkler entworfen hat. Dazu zählt eine Art Showroom in dem etwa entstellte Handtaschen und maskierte Motorradhelmen wunderbar die Schwebe zwischen Abstraktion und Readymade halten während ein Parcours aus Absperrbändern keine klare Richtung weist.
Großartige ist, wie sich diese Zwitterräume und -objekte nicht nur im Film, sondern auch im Ausstellungsraum einfinden und so hin und her gespiegelt werden. Dabei ist der Raum schummrig und Winklers Skulpturen wirken bewusst wie beiläufig platziert, selbst die Bühne, die hier steht, ruft nicht nach Rampenlicht. Sie ist nur halb aufgebaut und gar nicht begehbar, und die sonst so betonte Wichtigkeit des Ausstellungsbetriebs durchzieht ein gelassenes Understatement.
A Gallerina’s Dream (Arbeitstitel): Stefan Panhans & Andrea Winkler, Galerie im Turm, Frankfurter Tor 1, bis 30. April 2017
25. April, 19 Uhr: Book Release & Speed Reading Contest, Stefan Panhans: „We Just Left Shore“ (Roman, Textem Verlag)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen