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Der Anfasser

Wie machen Sie das?

Foto: taz

Adam Chaibi*, 24, arbeitet als Physiotherapeut in einer Klinik.

taz. am wochenende: Herr Chaibi, Ihre Arbeit ist, andere Menschen anzufassen. Manche entwickeln dabei romantische Gefühle, die Sie abblocken müssen. Wie machen Sie das?

Adam Chaibi: Ich bleibe immer freundlich, aber die Patienten sollen nicht denken, dass ich sie vielleicht doch mehr mag. Ich muss meine Grenzen definieren. Wenn mich eine Patien­tin fragt, ob ich sie privat behandeln kann, sage ich, dass wir das so nicht machen. Obwohl ich manche Patienten privat behandle. Dabei will ich aber nur arbeiten, Geld bekommen und dann wieder gehen.

Woran erkennen Sie, dass sich jemand mehr erhofft?

An den Sprüchen. „Sind Sie vergeben?“ oder „Sie sind aber ein gutaussehender Therapeut“. Der Unterton bei einem „Jetzt, wo Sie da sind, geht es mir viel besser.“

Wer sagt so etwas?

Von Mitte zwanzig bis Mitte achtzig ist alles dabei. Einen sehr kuriosen Fall hatte ich mit einer 85-Jährigen.

Was ist passiert?

Ich hatte sie nur ein Mal behandelt. Eine Woche später kam der erste Brief. Darin stand, dass sie ständig an mich denkt, und ihre Telefonnummer.

Wie haben Sie darauf reagiert?

Zuerst habe ich gedacht, das sei eine einmalige Sache. Eine Woche später kam der nächste Brief: Gedichte und ein 20 Jahre altes Foto von ihr. Sie hat geschrieben, dass sie alles in sich aufnehmen will, was aus mir rauskommt. Als Nächstes kam ein Paket mit Unterwäsche.

Haben Sie ihr geantwortet?

Nein, nie. Aber inzwischen denke ich darüber nach, sie anzuzeigen, falls noch mehr kommt. Ich habe Angst, dass sie die ganze Geschichte umdreht, so als hätte ich mitgespielt. Deswegen habe ich offen mit meinen Kollegen darüber gesprochen und gesagt, dass sie das nächste Paket ungeöffnet zurückschicken sollen.

Interview:Johannes Drosdowski

* Name geändert. Chaibi möchte wegen seiner Schweigepflicht unerkannt bleiben.

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