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Dann kommt das Spiel

Werkschau Michael Gwisdek wurde kürzlich 70 Jahre alt. Das Festival Achtung Berlin richtet ihm eine Retrospektive aus

von Carolin Weidner

Im Internet kursiert ein Video anlässlich der Verleihung des Deutschen Filmpreises 2013, das einige Bühnenminuten des Schauspielers Michael Gwisdek enthält. Denn der gewinnt die Lola als bester männlicher Nebendarsteller und darf deswegen vors Publikum treten und ein paar Dankesworte verlautbaren. Doch damit hält Gwisdek sich nicht auf, lieber lässt er wissen, warum ihm die goldene Statue in diesem Jahr zugedacht wurde: Sohn Robert Gwisdek ist Schuld (der für seine Darstellung des Gregor Lansky in Nina Grosses „Das Wochenende“ in derselben Kategorie nominiert ist). Robert Gwisdek nämlich hatte seinem Vater kurz vor der Klappe mit Tom Schilling in Jan-Ole Gersters „Oh Boy“ (Gwisdek ist der weise Besoffski, der neben Schilling am Tresen sitzt) ausdrücklich geraten, weniger zu schauspielern und dafür doch lieber einfach Sätze auszusprechen, deren Inhalt er verstanden hätte. Frei nach der These: wenn die Bedeutung des zu Sagenden eingesunken ist, kommt das Spiel (oder Nicht-Spiel?) ganz von selbst.

Beschäftigt man sich mit Film, dann beschäftigt man sich auch mit Schauspielern. Sie sind die Projektionsflächen, die Vehikel und Realisierer eigener Wünsche, von denen man wiederum manchmal erst während des Schauens erfährt. Die Begegnung mit einer bestimmten Figur zu einem bestimmten Zeitpunkt (in einem bestimmten Kino und vielleicht auch mit einer bestimmen Begleitung) kann tiefgreifend sein. Und ist erst mal eine Bindung zu jener Figur entstanden, die man häufig naiv und zumeist illusorisch auf die Person des Schauspielers überträgt, ist man geneigt, den Weg dieser neuen, wichtigen Bekanntschaft weiterzuverfolgen, so, wie man auch im „wahren Leben“ daran interessiert wäre, zu erfahren, was denn so los ist. Schauspieler-Retrospektiven haftet deswegen etwas Eigenwilliges an, das mit einer persönlichen Neugier zu tun hat – denn man ist bereits in eine Beziehung mit jenem Künstler getreten.

Dass das Festival Achtung Berlin (19. bis 26. 4.) eine solche Retrospektive in diesem Jahr für Michael Gwisdek ausrichtet, hat sicherlich damit zu tun, dass der Schauspieler kürzlich seinen 70. Geburtstag begehen konnte – es liegt aber auch daran, dass man sich mit einem wie Gwisdek besonders gut verhaften kann. Gwisdek hat zahlreiche DEFA-Filme mitgeprägt und es ist dem Feingefühl des Achtung-Berlin-Teams zu verdanken, dass es auch hauptsächlich diese Filme sind, die während der kleinen Hommage wiederzuentdecken sind. Interessanterweise beschäftigt sich zumindest einer von ihnen auch ganz explizit mit der Schauspielerei: „Die Schauspielerin“ (1988) von Siegfried Kühn mit Corinna Harfourch (zwischen 1985 und 2007 auch mit Michael Gwisdek verheiratet und Mutter von Robert Gwisdek) und André Hennicke in den Hauptrollen. Eine Romanze im Theatermilieu des Dritten Reichs, in welchem Gwisdek eher im Hintergrund agiert. Um das alltägliche Schauspiel, also ein eher implizites, geht es in Roland Gräfs „Der Tangospieler“ (1990), einem der letzten DEFA-­Produktionen überhaupt und ebenfalls mit Harfouch, das Psycho­gramm eines unrechtmäßig inhaftierten Historikers (Gwisdek), der im Frühjahr 1968 einen Weg zwischen Gegenwehr und Opportunismus sucht. Der Film eröffnet die Homage am Samstag um 18 Uhr in Anwesenheit von Michael Gwisdek im Babylon Mitte.

„Der Tangospieler“ war einer der letzten DEFA-Produktionen überhaupt

Ein sonderbarer, ungewöhnlicher Film ist „Olle Henry“ (1983) von Ulrich Weiß, ein Boxerdrama das buchstäblich inmitten der Weltkriegstrümmer spielt. Henry Wolters (Gwisdek), ehemaliger Profiboxer, verschlägt es, nachdem er von einem Zug abgeworfen wurde, in die Nachbarschaft von Xenia (wahnsinnig: Anikó Sáfár). Die tummelt sich nachts in einem unterkellerten Salon, in dem Halbwelt und Vermögende verkehren – ein grotesker Kontrast zu Schutt und Grau, der hier gar nicht unspektakulär funktioniert. Henry Wolters soll mit in die Amüsier-Szene einsteigen und Kirmesboxer werden.

Michael Gwisdek macht diesen hageren, wie unter einem Ascheregen gestandenen Mann, zu einem schier undurchdringlichen Maskulinum. Er bewegt sich wie eine Aufziehpuppe, die nur einige Meter geht, bis jemand erneut an der Schraube drehen muss. Die, die hier an der Schraube dreht, ist Xenia. Wie es in vielen der Filme der Retrospektive Frauen sind, die diesen drahtigen Körper erst anzustoßen verstehen.

Hommage an Michael ­Gwisdek: 22.–26. 4., Babylon Mitte; „Der Tangospieler“ läuft am 22. 4., 18 Uhr in Anwesenheit von Michael Gwisdek

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