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Stippvisite am Tatort

Theater Inzwischen so richtig in Walle angekommen, bespielt das Kriminaltheater die Union-Brauerei. Derzeit mit Patricia Highsmiths „Zwei Fremde im Zug“

Kriminelles im Ikea-Regal: In „Zwei Fremde im Zug“ wird der perfekte Mord geplant Foto: Claudia Hoppens/Kriminaltheater

von Jens Fischer

Seit August fördern sie den Umsatz für Union-Bier. Denn die Fans kommen zum Neu-Waller Kriminaltheater gern überpünktlich angereist, um vor der mörderischen Darbietung noch in die rustikal schnieke Brauereischänke mit Stullenrestauration einzukehren. Anschließend versetzt der Fahrstuhl zum Killerspaß in Gänsehautstimmung. Er ruckelt, knarzt, quietscht wie einer dieser Todesaufzug-Simulationen in den Horrorjuxbuden der Jahrmärkte – und schleicht in knapp 50 Sekunden vier Etagen hinauf.

Bis untern Dachstuhl öffnet sich dort der Theatersaal, der ein Gewinn für Bremen ist. Einerseits anheimelnd: Parkettfußboden, von unten beheizt, und rot getünchte Wände. Zudem gibt’s reichlich Platz. Im ehemaligen Friesenstraßendomizil standen den Krimikünstlern vor dem Umzug knapp 180 Quadratmeter zur Verfügung, jetzt sind es annähernd 300. Hinzu kommt ein doppelstöckiges Büro, das gleichzeitig auch Künstlergarderobe und Probenraum ist. Die Zuschauerkapazität wurde um 30 auf 180 Plätze erhöht. Was auch notwendig scheint. Denn die Miete hat sich verdoppelt.

Im Viertel war der Bühnenraum halt eine Baracke, hier haben die Sanierer alles modern auf edelalt getrimmt. Nicht mehr 80, sondern 90 Zuschauer durchschnittlich pro Abend zum finanziellen Überleben braucht Ralf Knapp, der das Theater mit Perdita Krämer leitet. Wird diese Auslastung erreicht? „Nun ja, wenn wir uns nur einen Fehlgriff bei der Stückansetzung leisten, droht uns die Insolvenz“, sagt Knapp.

Alan Ayckbournes Science-Fiction-Krimikomödie „Doppeltüren“ sollte eigentlich der Spielplanhit der Saison werden – und wurde es nicht. Die Besucherzahlen für Ferdinand von Schirachs „Terror“ brachen nach der Ausstrahlung der TV-Fassung ein. Werner Schwabs „Präsidentinnen“ ist zwar zu den Privattheatertagen nach Hamburg eingeladen worden, aber eher was für Fans schrillschraubiger Wortakrobatik, denn für Publikumsmassen. Richtig super läuft dafür Axel Petermanns Profiler-Stück „Auf der Spur des Bösen“.

Bezeichnend für die aktuelle Situation ist die interne Debatte über die nächste Premiere: Zur Wahl stehen die Adaption des Films „Ladykillers“, also Blockbuster-Ambitionen, und die 80., damit einzige noch nicht produzierte Folge der Krimihörspielreihe um die „Denkmaschine“ Professor van Dusen. Die hat der in Bremen lebende Autor Michael Koser seit den 1970er-Jahren für Rias Berlin und Deutschlandradio geschrieben. Was ist an der Folge besonders? „Es geht um Kannibalismus“, freut sich Knapp und macht keinen Hehl daraus, welches der Stücke er lieber inszenieren würde.

Nun kam aber erst mal Patricia Highsmiths „Zwei Fremde im Zug“ zur Premiere. Die Vorverkaufszahlen seien sehr gut, atmet Knapp auf. Denn die Schulden sind nebenher gewachsen. Trotz Zuschüssen von Stiftungen, Sponsor und Freunden haben Umzug und Einrichtung der neuen Bühne ein Minus von 15.000 Euro verursacht. „Richtig ärgerlich aber ist, dass mit dem erzwungenen Auszug aus der Friesenstraße unsere dortigen Investitionskosten von 150.000 Euro pulverisiert wurden“, sagt Knapp, „die wir erst zu 20 Prozent getilgt haben, also noch lange weiter abbezahlen müssen.“

Und nun hätten die Besitzer nicht wie mit der Kündigung des Mietvertrages behauptet, den Saal für einen Neubau abgerissen, sondern neu vermietet. „Das macht schon wütend“, sagt Knapp. Richtig froh ist er mit dem neuen Saal noch nicht. „Gags, über die bei uns im Viertel noch gelacht wurde, verpuffen hier. Dort hatte alles den Charme eines schmuddeligen Unterhaltungstheaters, war intimer, direkter. Jetzt in Walle ist die Atmosphäre heiliger, die Aufführungen wirken eher wie ein Kunstvorgang.“

„Wenn wir uns nur einen Fehlgriff bei der Stückansetzung leisten, droht uns die Insolvenz“

Ralf Knapp, Kriminaltheater

Das Publikum müsse sich daran gewöhnen, hier nicht denken zu müssen, sondern lachen zu dürfen. Treu gastspielende Gäste sind aber weiterhin die Amateurtheater Phönix und Union. „Allerdings verwässert das unser künstlerisches Profil“, so Knapp. Der ja eben nicht nur schlicht belustigen möchte wie Packhaustheater und Theaterschiff, sondern seine Stadttheatervergangenheit nicht verleugnet. So ist Knapps High­smith-Inszenierung auch kein Plüschkrimi. Er nimmt die literarische Großmeisterin der Seelenzergliederung ernst in ihrem Versuch, mit psychoanalytischer Freude die seelischen Abgründe hinter den Fassaden wohlanständiger Bürgerlichkeit zu sezieren. Sichtbar werden soll, wie aus Opfern Täter werden: Jeder kann töten.

Knapp lässt in einem überdimensionalen Ikea-Kallax-Regal spielen. Jede Figur bekommt ihren Rechteckkasten, das Ego-Universum der Lebenslügen, und spielt daher die Wand an beim Kommunizieren. Irgendwie ein schönes Bild der sozialen Isolation. Sowie eine prima Möglichkeit, sich auf die Protagonisten zu konzentrieren, die qualvoll mit sich selbst ringen. Leider hat das Kriminaltheater aber ein Schauspielerproblem.

Einzig Martin Leßmann bringt etwas Witz und Leben in die Bühneninstallation, auch wenn er als Indizien sammelnder Aufklärer etwas zu sehr im schein-schusseligen Columbo-Habitus agiert. Janina Zamani hält die Frauenrollen in manieriertem Duktus von sich fern. Und die zwei Fremden im Zug? Lebemann Bruno entwirft den perfekten Mord. Will über Kreuz töten, also ohne Motiv. Und das geht so: Bruno schlägt der zufälligen Reisebekanntschaft Guy vor, ihn von seiner nervtötenden Ehefrau zu befreien, wenn dieser im Gegenzug Brunos gehassten Vater tötet.

Idee und Folgen könnten spannend sein. Aber der eine potenzielle Killer ist ständig über-, der andere total unterdreht. Denis Fischer gibt Guy stilvoll smart, agiert blass, kann so nicht die gleichzeitige Faszination und Abscheu für Bruno beispielsweise mit der von Highsmith als Erklärung angebotenen Homoerotik verbinden. Christian Aumer stellt so zappelig überdeutlich den Ödipuskomplex des armen Irren Bruno aus, dass es nervt. Aber wahrscheinlich findet das Ensemble im Laufe der ja gerade erst gestarteten Aufführungsserie noch zu differenziert vitalem Rollenspiel.

Nächste Chancen: heute, 15. April, sowie am 21., 22., 28. und 29. April, 20 Uhr

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