„Wir wollen eine große Nation sein“

Jarosław Kaczyński ist Befürworter der Todesstrafe. Jetzt wird er vermutlich polnischer Premierminister

Herr, Kaczyński, Sie und Ihr Zwillingsbruder gelten als Politiker, die sich mit Deutschland schwer tun. Ihr Bruder hat Schlagzeilen gemacht, weil er als Bürgermeister von Warschau Reparationsforderungen von 40 Milliarden Euro für die Schäden des Zweiten Weltkriegs eingefordert hat. Was stört Sie so an dem westlichen Nachbarland?

Jarosław Kaczyński: Natürlich möchten wir gerne gute Beziehungen zu Deutschland. Aber bestimmte Phänomene in Deutschland beunruhigen uns. Momentan wird ein neues historisches, aber auch politisches Selbstbewusstsein aufgebaut, das Elemente enthält, die für uns nicht akzeptabel sind. Mir geht es dabei vor allem um die Relativierung der Schuld für den Zweiten Weltkrieg und um die Verwechslung von Tätern und Opfern. Es ist der Versuch, das, was den Polen widerfahren ist, dem gegenüberzustellen, was die Deutschen erfahren haben. Natürlich haben auch die Deutschen während und nach dem Krieg gelitten – aber es war ihr Krieg, sie haben Hitler unterstützt und diesen Krieg gutgeheißen. Außerdem sind in Deutschland Ansprüche gegen Polen gestellt worden, die aus den Vertreibungen resultieren. Aus unserer Sicht ist es unerhört, von uns zu verlangen, dass wir den deutschen Wahnsinn des Zweiten Weltkriegs bezahlen.

Heißt das, Deutschland muss mit Reparationsforderungen rechnen, wenn Sie Premierminister werden oder Ihr Bruder Präsident wird?

Darüber entscheidet laut polnischer Verfassung nicht der Präsident, sondern das Parlament. Es wird sich zeigen, was das neue polnische Parlament darüber denkt. Aber es ist nicht so, dass solche Forderungen keinerlei Grundlage hätten – auch wenn Sie das in Deutschland vielleicht anders sehen. Deutschland hat Polen 1939 grundlos überfallen und ist damit für immense Verluste verantwortlich, die unsere Nation erlitten hat – nicht nur während des Krieges, sondern auch in den Jahrzehnten danach. Und dazu zähle ich auch die Tatsache, dass wir über 40 Jahre unter russischer Herrschaft leben mussten, in einem System, dass uns unserer Grundrechte entledigte. Das bitte ich Sie in Deutschland auch zu bedenken, wenn Sie diese Frage diskutieren.

Sie haben viel von der missachteten, untergeordneten Rolle gesprochen, die Polen in den letzten Jahrhunderten in Europa innehatte. Betrachten Sie es als Ihre Aufgabe, Polen eine neue Rolle zu geben?

Wissen Sie, es gab kurz vor der EU-Ost-Erweiterung eine Meinungsumfrage, welches der Beitrittsländer das größte sei. Gewonnen hat Ungarn. Polen war an zweiter Stelle, kurz danach Tschechien. Dabei ist Polen viermal so groß ist wie die beiden erwähnten Länder. Wir wollen erreichen, dass wir wieder als eine der großen europäischen Nationen gelten, die Zeit ist jetzt reif für einen ebenbürtigen Platz. Wir beziehen uns dabei gerne auf die Geschichte der Juden: Vor über 60 Jahren waren die Juden ein geplagtes und ermordetes Volk. Sie sind vertrieben worden, waren auf der Flucht. Jetzt sind die Juden wieder zu einem der mächtigsten Völker der Welt aufgestiegen, obwohl sie so wenige sind. Natürlich haben die Juden besondere Eigenschaften, aber sie sind ein gutes Beispiel dafür, dass es geht. Ob es uns gelingt, den Erfolg der Juden zu wiederholen, wird sich zeigen.

Ihre Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) will die Todesstrafe wieder einführen. Wollen Sie Polen damit eher Weißrussland als der EU annähern?

Was sie sagen, ist der Ausdruck einer extrem opportunistischen und konformistischen Sichtweise. Es ist mir klar, dass die Todesstrafe von den meisten Eliten – nicht etwa von der Bevölkerung – nicht akzeptiert wird. Aber ich verheimliche Ihnen meine Skepsis gegenüber diesen Eliten nicht. Ich sehe nichts Gutes darin, die Kriminalität zu unterstützen. Den Moralisten, die gegen die Todesstrafe ankämpfen, will ich empfehlen, sich mit den Opfern zu unterhalten. Beschäftigen Sie sich mit Tschetschenien, Russland, Tibet und China. Ich sage nur: Das ist Heuchelei der Leute, die einerseits Völkermord tolerieren, aber trotzdem Putin besuchen, freundschaftliche Beziehungen mit China knüpfen und verschiedene Völker unter extremen Bedingungen leben lassen, sogar Sklaverei in den eigenen Ländern tolerieren, sich aber unerhört für die Mörder einsetzen. Das ist für mich Heuchelei hoch drei verbunden mit Feigheit. Ich sehe keinen Grund, jemanden leben zu lassen, der zum Beispiel ein kleines Mädchen einmauert wie in Belgien.

INTERVIEW: SUSANNE AMANN

Das Interview wurde im Mai geführt