: „Du bleibst ein Ausländer“
FOTOS Fünf Jahre lang suchte der Hamburger Andreas Herzau in der Schweiz mit der Kamera den Bruch zwischen seinen eigenen Vorstellungen und dem Vorgefundenen
von Frank Keil
Was war im Jahr 1291? Nun: 1291 werden die Kreuzritterburgen Sidon und Beirut erobert, Antwerpen erhält die Stadtrechte. Und 1291 sollen Vertreter der sogenannten Urkantone Uri, Unterwalden und Schwyz sich auf der Rütliwiese am Vierwaldstättersee zum legendären Rütli-Schwur getroffen haben: die Geburtsstunde der heutigen Schweiz. „Since 1291“ steht auf dem schwarzen T-Shirt eines kräftigen Mannes mit kahl geschorenem Kopf, der in den Himmel schaut, den fünf Düsenjäger kreuzen: angemalt in den Farben weiß und rot.
Das Bild, aufgenommen am Schweizer Nationalfeiertag, ist eine der zentralen Fotos aus der Serie „Helvetica“ des Fotografen Andreas Herzau, die jetzt die Galerieräume des Berufsverbandes freier FotografInnen, „Freelens“, füllt. Vier Jahre lang hat Herzau immer wieder die Schweiz besucht, hat sich treiben lassen, hat gezielt nach Motiven gesucht. Hat viel fotografiert – und auch viel wieder verworfen.
Dabei entwickelte sich wie bei vielen Deutschen auch bei Herzau zunächst eine Art Grundsympathie dem Land gegenüber: „In der Schweiz funktionieren Dinge, die bei uns nicht funktionieren. Du hast den Eindruck, dass dieser Staat mehr für sein Volk tut“, sagt er. Wenn man aber öfter dort sei, kippe das: „Und du merkst irgendwann, dass alles geregelt ist: von den Farbleitsystemen für das Parken bis dahin, dass überall Parkbänke stehen, es überall Aschenbecher hat.“ Und ein seltsames Gefühl beschleiche einen: „Die haben wirklich an alles gedacht – und das ist dann doch ein wenig unheimlich.“
Und nicht zuletzt sei bei aller Freundlichkeit und Höflichkeit, die man ihm gegenüber an den Tag legte, bald etwas anderes zu beobachten gewesen: „Egal, wie oft und wie lange du in der Schweiz bist: Du bist und bleibst ein Ausländer, und das bekommst du immer wieder zu spüren.“ Und zwar deutlich.
Herzau war für seine Bildersuche in den großen Städten und in den kleinsten Orten auf dem Land. Er hat ausgiebige Wanderungen unternommen, weil das Schreiten durch die Täler und das anschließende Hinaufklettern auf Hügel und dann Berge nun mal eine grundlegende Schweizer Handlung und Haltung ist. Er hat eine Wahl zur Miss Schweiz begleitet und bietet uns Bilder junger, hübscher Frauen, denen die Angestrengtheit des Lebens in der Oberschicht ins Gesicht gezeichnet ist.
Gerade angesichts des enormen Reichtums des Landes wie auch des tief sitzenden Konservatismus vieler Schweizer nicht in vordergründige, bildnerische Häme zu verfallen, sei keineswegs einfach gewesen: „Mit das Schwierigste war, nun nicht die Martin-Paar-Nummer zu machen.“ Bei aller gewonnenen Kenntnis des Landes bleibt Herzau zurückhaltend, was die Beweiskraft seiner eingefangenen Blicke betrifft. Seine Arbeit habe keinen Anspruch auf Vollständigkeit und sei keine soziologische Studie.
Zwar betreibe er manchmal Fotografie mit soziologischen Mitten, „aber vom Wesentlichen her bin ich Autor und Knipser“, sagt Herzau – und dreht sich einmal um sich selbst, schaut hochzufrieden auf die Fotografien unterschiedlicher Formate, die ein entsprechendes Mosaik der Schweiz ergeben und wo tatsächlich immer wieder viel Rot und Weiß zu entdecken ist, und sagt mit einem Lächeln: „In den Bildern ist viel Herzau drinne.“
bis 24. Mai, „Freelens“-Galerie, Steinhöft 5. Mo–Do 11–18 Uhr, Fr 11–16 Uhr
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