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Die neue Heiserkeit

PopEin „Festen“ im Festsaal Kreuzberg mit Konzerten von Friends of Gas, Klez.e und Gewalt

Hätte eigentlich geil werden können. Patrick Wagner, Ex-Zampano, Ex-Labelchef, Ex-Koryphäe während der Jahrtausendwende in Berlin für alles, was mit Indierock, Rockrock, Marktgeschrei und deutschen Texten zu tun hat, hatte nach langer Zeit mal wieder zu einem musikalischen Abend geladen. Aber nicht irgendwie. Besonders muss es sein, wenn Wagner was macht: Diesmal hat er sich ausgedacht, das dänische Filmkonzept der Gruppe „Dogma ‚95“ zu beleihen. So gab es unter dem Titel „Festen“ (nach Vinterbergs Film) keine feste Setliste, keine Sponsoren, keine Medienkooperationen, kein großes Marketing, keine Gästeliste und fast kein Publikum. Dafür ein Fest mit vier Bands, die ihre eigene Art des Krachmachens pflegen.

Hätte geil werden können, war auch teilweise geil. Der Festsaal Kreuzberg in Treptow bot den Rahmen, Drangsal hätte spielen sollen, meldete sich aber krank ab, Gewalt hätten zu dritt spielen sollen, waren dann aber nur zu zweit. Für Drangsal sprangen Klez.e ein, die auf selbstironische Art mit dem Lückenfüllerdasein umgingen und mit ihrer Art, die neu-ostdeutschen The Cure zu sein. Dazu standen noch Friends of Gas aus München auf dem Programm. Hätte geil werden können alles, aber. Hätte mehr Resonanz verdient gehabt.

Gewalt zum Schluss

Denn voll war es nun mal leider nicht. Eine feste Setliste gab es natürlich doch – die schwächste Band, Hope, spielte als Erstes, Wagners eigenes Projekt, Gewalt, kam zum Schluss. Eine Gästeliste gab es auch, nur nicht für Journalisten, obwohl von denen einige da waren.

Es hatte etwas von einem Klassentreffen; einem öffentlichen Wiedersehen ehemaliger Szenegänger*innen um die 35. Dabei war die Musik wirklich ganz geil. Am Ende zog sich der Abend aber auch in die Länge – Patrick Wagner und Yelka Wehmeier von Gewalt betraten gegen eins die Bühne, da hatte sich der eh kaum gefüllte Zuschauerraum noch mal um die Hälfte geleert.

Am Anfang jedoch war die Hoffnung. Hope, vier Menschen aus Berlin, machten Electronica mit effektstarker Gitarrenverzerrung, irgendwo zwischen Låpsley und Radiohead, nur nicht ganz so gut. Besonders die Performance verlangte den wohlgesinnten Zusehenden einiges ab – Gitarrist Phillip Staffa kam aus dem Knien nicht mehr raus, Sängerin Christine Börsch-Supan erinnerte in ihrem barfüßigen Hang zur Eurythmie ungut an Skin von Skunk Anansie; die Musik hatte zwar Potenzial, bestach in ihren Texten aber in der Hauptsache durch emotionale Schlichtheit. Gut, dass die Deutschen im Publikum weitgehend unter sich blieben. Da fiel das simple Englisch nicht so auf.

Klez.e hätten genauso schwierig sein können – Sänger Tobias Siebert lebt öffentlich seinen Traum aus, Robert Smith zu sein. Bis in die kleinsten Gesten hinein arbeiteten er und Daniel Moheit an der perfekten Kopie der englischen Goth-Band, deren Höhepunkt die Platte „Disintegration“ (1989) darstellte. Klez.es immerhin auch schon vierte Platte, erschienen nach achtjähriger Pause, heißt nun passend „Desintegration“ – The Cure mit deutschen Texten. Aber: Die Mischung aus Weltschmerz, Politik und Ein-Vorbild-Eklektizismus wusste durchaus zu bestechen.

Steigerung dann: die neue Heiserkeit. Nina Wagner, Sängerin von Friends of Gas, schreit wie Patrick Wagner. Überhaupt – wann waren Batikshirt und unters Kinn geklemmte Gitarre zum letzten Mal so cool? Friends of Gas aus München, Album heißt „Fatal schwach“, bestachen durch dronige, ins Endlose repetierte Hooklines, heiseres Schreien von simpel-enigmatischen Ein- bis Vierzeilern und einem Auftritt am Rande des Pathologischen. Eine Offenbarung.

Und am Ende kam die Gewalt. Gegen die Uhren, gegen den Strich. Patrick Wagners Projekt ist keinen Deut schlechter als seine Jahrtausendwende-Band Surrogat. Nur über die Jahre noch härter und renitenter geworden. Eine Boombox, ein Schreien, ein letzter Kampf. Gegen das Ende der fetten Jahre. René Hamann

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