Ticket in den Tod

Gift gegen Geld: Die Schweizer Sterbehilfeorganisation Dignitas mixt ihre Cocktails angeblich auch für Gesunde. Gegen die Gründung eines Tochter-Vereins in Hannover formiert sich eine große Protestkoalition

von Kai Schöneberg

In roten, grünen und blauen Fläschchen haben sie „Giftcocktails“ angerührt, sie tragen weiße Gewänder, „Pestmasken“ und Plakate mit der Aufschrift „Kein Todesexport aus der Schweiz“. Mitglieder der Deutschen Hospizstiftung warnen an diesem Tag in Hannover gegen den leichten Tod aus dem Süden.„In Deutschland fällt uns zum Glück mehr ein, als vor den Verzweifelten zu kapitulieren“, wettert Hospiz-Vorstand Eugen Brysch.

Weil er die Schweizer Sterbehilfeorganisation „Dignitas“ für „obskur“ hält, verteilt Brysch bei einer Spontan-Demonstration vor dem Hotel Plaza Zettel mit der eidgenössischen Flagge, auf denen „Schweizer Geschäfte mit dem Tod“ steht. Die Ankunft von Ludwig A. Minelli, dem Generalsekretär der Züricher Dignitas, hat in Deutschland wenig Freude ausgelöst. Der 72-Jährige sitzt im Saal „Merkur“ des Plaza, angriffslustig wie immer. „Wir haben kein Büro, sondern den Verein Dignitas Deutschland gegründet“, sagt der Generalsekretär zu „falschen“ deutschen Presseberichten. Von diesem Land ist der Jurist eh nichts anderes gewöhnt: „Kein Wunder: PISA läßt grüßen“.

Am Montag hat er mit sieben Mitgliedern die erste Filiale der Sterbehilfeorganisation außerhalb der Schweiz ins Leben gerufen. Der neue Verein hat ein Büro. Die deutsche Dignitas mit Sitz in einer 40-Quadratmeter-Wohnung in einem Hinterhof im Stadtteil List solle das „Selbstbestimmungsrecht des mündigen Menschen auch in Deutschland durchzusetzen“, sagt Minelli. Der Suizid ist für ihn „eine großartige Möglichkeit, sich einer aussichtslosen Situation zu entziehen“.

Leider hätten Lebensmüde in Deutschland nur wenig Möglichkeiten: „Am sichersten funktioniert noch der ICE. Sechs Tote am Tag“, konstatiert Minelli. Von den 453 Personen, die seine Dignitas seit der Gründung vor sieben Jahren ins Jenseits beförderte, nahmen bislang 253 Deutsche ein One-Way-Ticket nach Zürich. Der Grund für den „Sterbe-Tourismus“: Minellis Organisation ist die bekannteste, die auch Ausländer in der Schweiz in den Tod begleitet.

Gegen die hiesige Rechtssprechung und Standesrecht der Ärzte kann aber auch der „Selbstmord-Guru“ (Bild-Zeitung) nichts unternehmen (siehe Kasten).

Weil das deutsche Recht „perverse menschenfeindliche Wirkungen“ verursache, ist in Hannover laut Minelli zunächst „nur eine Anlaufstelle für Menschen, die sich beraten lassen wollen, geplant.“ In Deutschland will er keine Sterbezimmer wie in der Schweiz anbieten, auch keine aktive Sterbehilfe. Rechtsbeistand Dieter Graefe betont, es werde „nichts im Graubereich geben“.

Nach Erfahrungen aus der Schweiz sieht das anders aus. Angeblich bringt Minelli dort auch kerngesunde, junge oder psychisch kranke Menschen unter die Erde, wenn sie es wünschen – Hauptsache, es fließt genug Geld. Vom 85-jährigen Peter G. berichtet das Schweizer Nachrichtenmagazin „Facts“. Der Publizist wollte sich gemeinsam mit seiner kranken Ehefrau töten. Eine Million Euro hat G. Dignitas für den Fall versprochen, dass er ihre Dienste in Anspruch nehmen müsse, schreibt „Facts“. Kein Problem für Minelli, dass Ärzte auch in der Schweiz Gesunden keinen Giftcocktail verschreiben dürfen, kein Problem, dass auch das Schweizer Strafgesetzbuch Suizid-Beihilfe mit eigennützigem Motiv verbietet.

Einblick in das Finanzgebahren des Vereins hat eigentlich nur Minelli. „Dankbar wären wir auch, wenn Sie Dignitas in Ihrem Testament mit einem Legat oder einer Erbeneinsetzung berücksichtigen“, schreibt der Generalsekretär im März an seine Mitglieder. Die Schweizer Presse berichtet von mehreren Summen im sechstelligen Euro-Bereich. Um den heiklen Fall des Publizisten G. zu richten, fuhr der Generalsekretär im März 2004 mit dem pensionierten Kinderarzt Udo D. in ein Seniorenheim in den Taunus.

D. darf wegen Sex mit Knaben zwar keine männlichen Patienten mehr untersuchen. Dennoch drückt der dankbare G. nach der Visite Minelli 10.000 Euro in die Hände. In den Jahren zuvor hatte das Paar bereits große Summen gespendet. Im Krankenbericht hält der Arzt Udo D. zwar fest, dass G. „nicht unter nennenswerten, im Rahmen des Auftrags von Dignitas zu berücksichtigenden Beschwerden leidet“. Dennoch kommt er zum Schluss zur Frage, ob Peter G. „nach so langer gemeinsamer Zeit im hohen Alter sich noch daran gewöhnen könnte, allein weiterzuleben“. Fragwürdige Ärzte, fragwürdige Sterbetod-Begleitungen: Offenbar kein Einzelfall bei Dignitas.

Oswald M., ein weiterer Vereins-Arzt, hat für Minellis Sterbe-Club angeblich für den „Express-Tod“ gesorgt. Häufig habe das in hohen Dosen tödliche Betäubungsmittel Natrium-Pentobarbital bereits im Sterbezimmer bereit gelegen, obwohl der stark vergessliche Oswald M. noch gar kein Rezept geschrieben hatte. „Den aus dem Ausland angereisten blieb keine Bedenkzeit“, schreibt „Facts“.

Es sei sogar vorgekommen, dass der 78-Jährige englischsprachige Sterbewillige untersuchte, obgleich er die Sprache kaum beherrscht. Nach einer kurzen Visite habe der Allgemeinarzt M. sogar die Diagnose einer Psychologin verworfen, die eine gerade begonnene Verhaltenstherapie der Patientin T. als Erfolg versprechend gewertet hatte. Der Dignitas-Arzt M. verschrieb eine Dosis „Natrium Pentobarbital letalis“. 15 Gramm reichen. Auch hierzulande hat Minelli bereits willige Ärzte gefunden. Uwe-Christian Arnold, Zweiter Vorsitzender von Dignitas Deutschland, ist bislang beim Thema Sterbehilfe noch nicht in Erscheinung getreten. Dennoch beschreibt sich der Berliner als „zuständig für Suizidsuchende“. Sein Fachgebiet: die Urologie. Weitere Vereinsmitglieder will Minelli nicht nennen: Das sei „Privatsache“.

Die Wellen der Empörung schlagen hoch in Deutschland, obwohl die Vorwürfe aus der Schweiz noch gar nicht im Detail bekannt sind. Von einem „Euthanasie-Zentrum“ spricht die Bundesärztekammer. „Von der öffentlichen Werbung für Selbstmord halte ich nichts“, sagt Christian Raubold, Schmerzmediziner am Siloah-Krankenhaus in Hannover. Ungewohnt schroff reagiert auch Niedersachsens Sozialministerin Ursula von der Leyen (CDU): „Dignitas setzt nur auf den schnellen Tod.“

Von der Leyen plädiert für verbesserte Palliativmedizin und mehr Hospize in Deutschland, da schlage Dignitas genau „den falschen Weg“ ein. Auch die Justiz hat die Schweizer inzwischen auf dem Kieker: „Wir werden den Verein gut beobachten“, sagt eine Sprecherin des Justizministeriums. Die Gründung sehe man mit „großer Sorge“.

Auch Hannovers Landesbischöfin Margot Käßmann ist kein Freund Schweizer Methoden: Beim Sterben à la Minelli könne es „unter Zeitdruck zu Kurzschlussreaktionen kommen, die kein Mensch rückgängig machen kann.“

Bei vielen keimt der Verdacht, Minelli baue einen Sitz im Ausland auf, weil seine Methoden in der Schweiz nicht mehr gelitten sind – von Dignitas-Kontakten nach Spanien ist zu lesen. Justizminister Christoph Blocher begleitet Minellis Aktivitäten nämlich „mit großer Aufmerksamkeit und Sorge“. Im November will Blocher dem Schweizer Bundesrat Bericht erstatten. Minelli aber will es erst mal den störrischen Deutschen zeigen, „die Debatte im Land ändern“. Angeblich hat er einen Trumpf im Ärmel. Vor einem Verwaltungsgericht laufe ein Verfahren, mit dem das Dignitas-Einschlafmittel Natrium-Pentobarbital auch hierzulande in „genügenden Dosen verschrieben werden kann“.