„Wir brauchten keine Spielerlaubnis“

Festival Ornament & Verbrechen waren eine der bekanntesten Bands der DDR – aber es gab sie nur inoffiziell. Nun spielen sie beim „Free! Music“-Festival im HKW. Ein Gespräch über künstlerische und politische Freiheit

Ronald (links) und Robert Lippok, hier spielen sie Nebelmaschine Foto: J. Koop

Interview Andreas Hartmann

taz: Ronald Lippok, Robert Lippok, „Free! Music“ heißt das kleine Festival im Haus der Kulturen der Welt, in dessen Rahmen Sie mit Ihrer Band Ornament & Verbrechen auftreten werden. Als Sie 1983 in Ostberlin gemeinsam begonnen haben, Musik zu machen, was hat Freiheit da für Sie bedeutet?

Ronald Lippok: Von Anfang an gab es einen Zusammenhang zwischen Freiheit und Ornament & Verbrechen. Wir haben von Beginn an versucht, uns keinen Limitierungen zu beugen. Weder ästhetisch noch politisch.

Robert Lippok: Vor allem die Limitierung der Instrumentierung zu durchbrechen war wichtig, um sich frei zu fühlen.

Ronald Lippok: Wir haben zum Beispiel eine Schublade mit Ziegenfell bespannt und darauf gespielt, ein Mopedauspuff wurde zum Saxofon umfunktioniert. Dieses Basteln eigener Instrumente war jedoch kein reines DDR-Phänomen, überall wurde in den frühen Achtzigern geforscht nach neuen Klängen. Die Einstürzenden Neubauten waren vorbildlich in dieser Hinsicht. Was die sich alles zusammengebastelt haben, um neue Klänge zu erzeugen, die mit normalem Instrumentarium nicht herstellbar waren! Der Instrumentenbau war für uns eine wichtige Sache. Wenn wir von Freiheit sprechen, dann hat das auch mit der Freiheit gegenüber vorgegebenen Mitteln zu tun.

War das, was Sie Freiheit nennen, nicht vor allem die Reaktion auf einen Mangel, weil es bestimmte Instrumente, vor allem elektronische, in der DDR einfach nicht gab?

Ronald Lippok: Nein. An die elektronischen Instrumente kam man zwar tatsächlich nicht so leicht ran, aber dann hat man sich eben mit jemandem getroffen, der so einen Synthie besessen hat, und sich dann das Gerät geborgt, das ging schon. In jeder Beschränkung liegt letztlich ja auch eine Möglichkeit. Sie nötigt dir auf, klarere Entscheidungen zu treffen. Manche kommen schon zu guten musikalischen Ergebnissen, wenn sie nur auf einer Blockflöte spielen.

Robert Lippok: Der hörbare Mangel an gespielten Noten in der Musik von Ornament & Verbrechen wurde von uns bewusst gewählt. Wir hätten ja – anstatt selbst gebastelte Instrumente und Synthies zu verwenden – auch herkömmlichere Instrumente lernen und Virtuosen im Klavier- und Bassspiel werden können. Wollten wir aber nicht.

Freiheit hieß für Ornament & Verbrechen aber nicht nur, sich musikalisch nach eigenen Vorstellungen ausdrücken zu können, sondern sich auch von den üblichen Restriktionen für Musiker in der DDR frei zu machen. Die für Musiker in der DDR obligatorische sogenannte Spielerlaubnis etwa hatten Sie nie.

Robert Lippok: Wir hielten das mit der Spielerlaubnis einfach für unnötig. Für das, was wir vorhatten, brauchten wir keine Spielerlaubnis. Wir hatten Instrumente, wir hatten uns, wir hatten ein Publikum. Das reichte. Was natürlich dazu führte, dass wir nicht in offiziellen Clubs spielen durften und auch auf keinem Festival.

Ronald Lippok: Wenn jemand uns veranstaltet hatte und wusste, die haben keine Pappe – so nannte man damals salopp die Spielerlaubnis –, wusste er auch, dass er einen Konzertabbruch riskieren würde. Es ist uns tatsächlich ein paar Mal passiert, dass Konzerte abgebrochen wurden. Aber das war auch okay. Wir wollten eigentlich immer nur unsere Sachen machen und haben dann gemerkt, dass wir damit an Grenzen stoßen. Wir wollten gar nicht provozieren, sondern einfach nur etwas nach unserem Empfinden machen, ohne dabei unbedingt gleich ein dissidentes Statement abzugeben. Wir wollten aber auch nicht vor einer Kommission spielen und uns nicht beurteilen lassen. Wir wollten keine Texte einreichen und vor einer Jury sitzen wie bei einem Casting-Event. Mit dem Bandnamen Ornament & Verbrechen hätten wir sowieso keine Chance gehabt, eine Pappe zu bekommen.

Warum?

Beim Festival „Free! Music“, das vom 6. bis 9. April im Haus der Kulturen der Welt (HKW) stattfindet, soll es um verschiedene Aspekte von Freiheit gehen. Um musikalisch freie Musik genauso wie um Musik, die den Wunsch nach einer Befreiung von gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten artikuliert.

Das Programm reicht von ­einem Auftritt des südafrikanischen Jazzdrummers Louis Moholo-Moholo bis zur Musik des amerikanischen Instrumentenbastlers Harry Partch.

www.hkw.de

Robert Lippok: Wegen des Worts Verbrechen. Das Wort Verbrechen existierte praktisch nicht in der DDR. Es war nur ein Wort, was aber umso mehr zeigt, welche Wucht damals in der DDR einzelne Wörter haben konnten.

Ronald Lippok: Die einzige Möglichkeit für uns, unsere Musik zu verbreiten, war, in eine kleinere Struktur einzutreten und alles selbst zu bestimmen. Wir konnten nicht bei einer Plattenfirma anklopfen, aber unsere Kassetten selber machen und verteilen. Das war zwar auch verboten, aber machbar. Und bedeutete Freiheit für uns. Darum war die Tape-Kultur nicht nur in der DDR für viele Musiker Teil einer bewussten Entscheidung. Man sagte: Die Veröffentlichung auf Vinyl über eine Plattenfirma bedeutet schon zu viel Kompromiss. Darum machen wir lieber ein Tape. Da können wir alles ganz allein entscheiden, ohne eine übergeordnete Struktur.

Manche glauben, eine unfreiere Gesellschaft führe zu interessanterer Musik. Zu viel Freiheit verhindere die Dringlichkeit, sich musikalisch um jeden Preis gegen irgendetwas ausdrücken zu wollen.

Robert Lippok: Daran glaube ich nicht. Und wenn man ein grausigeres System braucht, um tollere Musik zu machen, kann es das irgendwie auch nicht sein.

Ronald Lippok: Nein, nein, wir sollten alle in Luxus und Frieden leben und dann schöne Musik machen. Ich brauche keinen Diktator, um gute Musik zu machen.

Robert Lippok: Auch wenn man sich anschaut, was in der DDR für Musik entstanden ist, würde ich nicht sagen, dass das eine Musik mit mehr Tiefe war als im Westen.

Eine total freie Musik in einer total freien Gesellschaft, das gibt es bislang aber sowieso nicht, oder?

Robert Lippok: Ich glaube, wir sind hier in Europa schon ziemlich frei. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie frei man als Musiker noch sein will, um sich hier auch frei zu fühlen.

wurde 1983 in Ostberlin von den Brüdern Ronald und Robert Lippok gegründet. Die beiden waren fester Kern der Band, die von verschiedenen Teilzeit­mitgliedern erweitert wurde.

Ornament & Verbrechen besaß in der DDR keine Spielerlaubnis, traten illegal auf und durften daher nie reguläre Platten veröffentlichen.

Anfang der Neunziger gingen aus O&V die auch international erfolgreichen Bands Tarwater und To Rococo Rot hervor. O&V treten nur noch sporadisch auf. Bei „Free! Music“ heute Abend, 22 Uhr.

Ronald Lippok: Musik, die wirklich frei ist, entsteht eigentlich auch nur dann, wenn man die Voraussetzungen für diese wirklich vergessen kann, was ziemlich schwierig ist. Du hast schließlich auch deine Fans und deine Auftraggeber.

Freiheit wäre auch, mit Ornament & Verbrechen heute Free Jazz zu machen und morgen Black Metal.

Ronald Lippok: Das können wir. Aber wir müssen uns selbst für das eine oder das andere entscheiden dürfen. Wenn uns jemand sagen würde, heute ist der Freejazz- und morgen der Black-Metal-Abend, dann würden wir sagen: nein.

Robert Lippok: Unsere Fans wussten ja eigentlich nie genau, was sie bei unseren Auftritten erwarten wird.

Ronald Lippok: Wir haben mit dieser Haltung auch immer wieder einige Leute enttäuscht. Aber das ist auch in Ordnung so. Teil der Freiheit ist eben immer auch das Eingehen von Risiken. Du musst etwas riskieren, sonst gibt es keinen Moment der Freiheit.