Die Wimps verdröhnen im Nebel

SHOEGAZE-POPDas wiedervereinte britische Quintett Slowdive verzückt den ausverkauften Festsaal Kreuzberg

Dass Slowdive noch mal so viel Leute ziehen, ist schon überraschend. Der Festsaal Kreuzberg, inzwischen knapp außerhalb der Grenzen des Bezirks gelegen, nämlich an der Grenze zu Treptow, wo sich früher das White Trash befand, war jedenfalls ausverkauft am Montagabend. Mit seinen Schiffsplanken und dem offenen Feuer am Eingangsbereich wirkt der neue Festsaal sogar irgendwie gemütlich. Und charmant. Das Publikum sprach in der Hauptsache Englisch. Es war ein wundervoller Abend.

Slowdive sind Ikonen des Shoegaze-Pop. Seine beste Zeit hatte das britische Quintett um 1992 herum – die Euphorie der Wendezeit, die Madchester-Rave-Zeit war verflogen, verstrahlte Melancholie setzte ein. Slowdive waren jung und gut. Die vier Männer in der Band trugen allerdings schlimme Frisuren – Pilzköpfe, die etwas schief geraten waren –, die Frau jedoch nicht. Benannt hatte sich die Band aus Reading nach einem Song von Siouxsie & the Ban­shees, auch die Cocteau Twins waren immer eine Referenz für Slowdive, die lange auf dem damals wichtigen und innovativen Creation-Label veröffentlichte. Damit hatten sie den Tiefgang, der der Konkurrenz von Ado­rable bis Chapterhouse fehlte.

Sensibel und auf MDMA

Slowdive spielten in einer Liga mit My Bloody Valentine und Seefeel – sie waren mehr als nur Modeerscheinung, auch wenn sie sich 1995 urplötzlich auflösten. Ihr Label Creation hatten sie aufgegeben. Oasis waren deren neues Ding, Bier und Ladtum statt Rauchwolken, Sensibilität und rosa Nebelbänke vom MDMA. Drei der fünf Musiker von Slowdive formierten sich unter dem Namen Mojave 3 neu und machten fortan eher biederen Folkrock. Musik ohne das schöne Gedröhn, für das Slowdive vorher berühmt war. Nackt sahen sie nicht so gut aus. Genug Historie. Am Montagabend klangen die 2014 wiedervereinten Slowdive erneut auf der Höhe der Zeit. Sie klangen tatsächlich frisch, und die neuen Songs, die sie hier und da ins Set schmuggelten – ein neues Album erscheint im Mai –, fügten sich nicht nur hervorragend ein, sondern boten eine konsequente Weiterführung ihres ohnehin tollen Sounds. Die Frisuren, das Wimphafte, sind verschwunden, das middle age steht insbesondere Gitarrist und Sänger Neil Halstead sehr gut. Sängerin Rachel Goswell wirkte fast mütterlich und hatte eine kratzige Stimme, wenn sie nicht versucht war, hoch zu singen. Positiver Effekt des Alterns: Das Quintett sah viel cooler aus als früher. Und das Publikum war altersmäßig viel durchmischter als gedacht.

Was auch nicht wirklich ein Wunder ist – Slowdive und überhaupt Shoegaze als Genre sind vor zirka zehn Jahren wiederentdeckt worden und längst aus der Geheimwissen-Ecke raus. Bands wie Film School aus den USA klingen wie eine schlechte ­Kopie von Slwodive; andere haben die Sounds und Effekte, das Delay, den Hall, das Echo, die Verzerrung übernommen. Dazu die leicht melancholische Stimmung in den Songs, mal poppig, mal eher ambient­orientiert – Slowdive spielten witzigerweise schon auf dem Goth-Festival in Leipzig, aber hier in Berlin wirkten sie wie die Band der Stunde.

Demnächst erscheint übrigens auch ein neues Werk von Ride. Und The Jesus & Mary Chain kommen auf Tour. Nun könnte man zu diesem Anlass eine große Klage über Retromanie, Nostalgie, die ewige Wiederkehr, die permanente Soundschleife führen, die im Falle von Slowdive aber in sich neue Spiralen drehen kann, sich ausbreitet und erweitert wie eine Galaxie – nun ja. Es war ein großartiger Abend. Wirklich.

René Hamann