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Archiv-Artikel

Du willszdn Punk sein?

In dem Roman „Verpisst euch“ lässt Eva Bude die Besetzerszene im Westberlin der Frühachtziger aufleben – sehr authentisch, sehr tough, aber auch etwas angeberisch

Die Autorin Eva Bude hat jahrelang in besetzen Häusern gelebt – als Punk. Und Sex gehabt und Drogen genommen hat sie auch. Deswegen gibt sie ihrem Besetzerroman den Untertitel „Sex and Drugs and Hardcore-Punk“. Das lässt zuerst einmal nichts Gutes erwarten.

Dann aber erklärt sie dem unbeleckten Leser, was Punk ist: Sie zählt die hehren Grundsätze der Punkerphilosophie auf, berichtet von Freuden und Entbehrungen des Punkerlebens, vom Sparmenü „Hundefutter mit Reis“ und von der Sorge um den Rattennachwuchs. Sehr detailreich bebildert Bude das Westberlin der Frühachtziger – eine Zeit, in der frisch Zugezogene noch als „Neuankömmlinge aus Wessiland“ beschimpft wurden.

Fast vergessene Phänomene des alten Westberlin wie die Wohnungsnot kommen wieder ins Gedächtnis, mittlerweile mythische Orte leben wieder auf: „Pennys Frisiersalon“ in der Potsdamer Straße, die „Ruine“ am Winterfeldtplatz, das „Risiko“. Die Straßen der Stadt werden im zärtlichen Abkürzungswahn der Zeit wieder zur „Manteuffel“ und zur „O 44“, fast gänzlich verdrängte Berliner Originale wie die dürre, zornige Sunshine aus der Oranienbar tauchen wieder auf.

Slogans wie „Instandbesetzen statt Kaputtsanieren“ und „Keine Kompromisse mit dem Schweinesystem“ dürfen beim Revuepassieren noch einmal neu und originell sein, und natürlich bekommt auch das weniger Schöne seinen Platz: die Brutalität der Berliner Polizei und inzwischen historische Hautkrankheiten wie die Schleppscheiße, die außerhalb Berlins nur in so genannten Dritte Welt-Ländern vorkam.

Leider ist die Ich-Erzählerin nicht nur Zeitzeugin, sondern auch eine arge Angeberin: Beim Saufen ist sie stets die Tougheste, bei Demos immer vorne mit dabei – Straßenkampfszenen geraten zu einer Mischung aus Märtyrerlegende, Jägerlatein und Kriegsberichterstattung. Außerdem ist sie noch eine Sexprotzin allererster Güte: Sie hat es drauf, verschafft sich durch gezielte Auswahl finger-und zungenfertiger Liebhaber die größten, besten, selbstbestimmtesten Orgasmen, hat sich schon als junges Mädchen in der Heidelberger Fußgängerzone prima von einem berühmten Dealer untenrum versorgen lassen, prahlt mit gleichgeschlechtlichen Erlebnissen und gibt dazu noch Nachhilfe in S/M-Kunde: „Alles was beide wollen, ist absolut ok.“

Angenehmerweise hat diese Autorin bei alldem keinerlei literarische Ambitionen und erzählt in kurzen Sätzen geradewegs drauflos. Viele Dialoge werden in korrekter Besetzerschreibweise wiedergegeben: „Ey, neemz mir nich übel. Aber ich brauch jezz meine Ruhe“ oder auch „Ey sach mal, wass machszdn du da? Hassz du sie noch alle? Du willzdn Punk sein?“ Ansonsten neigt Eva Bude sehr zum Pathos: Die größten Selbstverständlichkeiten – einen Freund im Falle des Vollsuffs nach Hause schleppen – feiert sie ständig als Wahnsinns-Freundschaftstaten unter Punks ab.

Und gegen Ende des Romans geht ihr dann fast vollständig die Luft aus, immer mehr Nebensächlichkeiten und Anekdoten, die keine sind, werden aufgeführt: Wie ich mal auf dem Hausdach voll die Vision hatte respektive wie ich mal ein Gericht kreierte, das alle voll lecker fanden. Who cares?, denkt da die Leserin zwischendurch.

Eva Bude geht es aber nicht um die Perfektion einer Chronistin oder Dramaturgin: Ihr geht es um das große ganze Bild. Deswegen ist „Verpisst euch“ ein interessantes Stück Zeitgeschichte, ein unterhaltsamer Roman, ein Westberliner Punk-Heimatmuseum. CHRISTIANE RÖSINGER

Eva Bude: „Verpisst euch! Sex and Drugs and Hardcore-Punk“. Europa Verlag, Hamburg 2005, 320 S., 16,90 €