Die unperfekte Welle

Mit halbjähriger Anstandsverzögerung zeigt Pro7 seinen Katastrophenkrimi „Tsunami“ (20.15 Uhr), der sich so sehr um realistische Effekte bemüht, dass die Handlung als Erstes über Bord geht

„Die Wirklichkeit bietet unglaublich interessante Eskalationsszenarien.“ Autor und Produzent Koch

VON PEER SCHADER

Wenn man genug Zeit hat, kann man sich mit Hans-Hinrich Koch sehr lange über Wellen unterhalten. Der Filmemacher ist Experte, seit er mit seiner Firma AV Independents das ProSieben-Filmspektakel „Tsunami“ produziert hat, und er sagt: „Man muss sich als Autor gar nicht so viel einfallen lassen – die Wirklichkeit bietet unglaublich interessante Eskalationsszenarien.“ Das klingt ein bisschen zynisch, vor allem nach der Katastrophe in Südostasien Ende des vergangenen Jahres. Aber so ist das nicht gemeint. Denn Kochs Film war schon fertig, als die Wellen Khao Lak und Phuket unter sich begruben. Und zwar seit exakt zehn Tagen.

„Tsunami“ erzählt die Geschichte des Surfer-Schönlings Jaan und der Hydrologin Svenja, die gemeinsam verhindern, dass eine Riesenwelle Sylt überflutet. Als Koch den Rohschnitt am 18. Dezember 2004 beim Sender ablieferte, stand noch nicht fest, ob das TV-Movie wirklich unter dem Titel „Tsunami“ laufen würde – es gab Bedenken, dass die Zuschauer mit dem Begriff wenig anfangen könnten. Anderthalb Wochen später hatte sich das erledigt.

ProSieben hat sich schnell entschieden, die für März geplante Ausstrahlung um ein halbes Jahr zu verschieben. Auch jetzt wird es noch so manchem Zuschauer den Magen umdrehen, dass der Sender einen Film zeigt, dessen Titel für eine der größten Naturkatastrophen des Jahrhunderts steht. Aber Koch beschwichtigt: „Wir sind sehr weit weg sind von den Nachrichtenbildern, die man aus Südostasien kennt.“

Tatsächlich wird das eigentliche Unglück in „Tsunami“ verhindert. Im Vordergrund steht zudem ein – leider wenig origineller – Krimiplot. Dass es überhaupt zu der Riesenwelle kommen kann, verantwortet ein geldgieriger Schurke, der für eine Ölfirma verbotene Sprengungen in der Nordsee durchführt. Das Interesse am Film ist dennoch enorm: Die ProSieben-Produktion wurde bereits in 73 Länder verkauft – ungewöhnlich für ein deutsches TV-Movie.

„Für mich war es spannend, ein solches Phänomen einmal nicht aus der Perspektive eines Wissenschaftlers zu erzählen“, sagt der Produzent. Dennoch sollte die Welle im Film möglichst realistisch aussehen. Dafür hat sich Koch, der auch Autor des Drehbuchs ist, unzählige Aufzeichnungen mit Wellen angesehen, mit Forschern gesprochen – und eine goldene Produzentenregel gebrochen, indem er Story und Effekte gleich gewichtet hat, statt sich von vornherein auf den Plot zu konzentrieren: „Viele Elemente sind nach Vorschlägen der Computerspezialisten ins Buch aufgenommen worden – ich hätte mich bei manchen Szenen gar nicht getraut, sie aufzuschreiben, weil ich befürchtet hätte, dass sie zu aufwändig sind.“ Unter etablierten Filmemachern mag das verpönt sein, Koch aber ist überzeugt: „So kann man einer Story neue Aspekte geben.“

Was die Tricks angeht, hat sich die zweijährige Vorbereitungszeit durchaus gelohnt. Dass es vor Sylt tatsächlich einmal zu einer solchen Riesenwelle kommen wird, hält Heinz Günther vom Institut für Küstenforschung in Geesthacht jedoch für unwahrscheinlich: „Es ist zwar möglich, dass es einen Tsunami in der Nordsee geben wird. Das Ausgangsszenario im Film ist aber unrealistisch.“

Das ist bei den meisten Katastrophenfilmen so, ließe sich einwenden, „Tsunami“ aber hat einen viel entscheidenderen Schwachpunkt: die völlig haarsträubende Handlung. Koch schwärmt von dem Film als „ ‚Indiana Jones‘ auf dem Wasser“. Am Ende ist aber doch bloß ein mittelmäßiger Actionkracher mit stereotypen Protagonisten und albernen Klischees herausgekommen, in dem fast keine der Nebenfiguren und Nebenhandlungen eine Bedeutung besitzt. Völlig unklar ist etwa, wie die beiden Stammgäste der von Jaans Schwester auf Sylt betriebenen Pension oder der Sportwagen fahrende Immobilienmakler die Handlung voranbringen sollen. Auch die Protagonisten Jaan und Svenja sind bloß holzschnittartige Helden: gut aussehend, jung, idealistisch. Anfangs zicken sie sich noch an, retten dann aber flott die Insel und verlieben sich dabei ineinander. So einfach ist das.

„Tsunami“ ist der ehrliche Versuch, deutsches Action- und Katastrophenkino zu machen. Das hat nicht geklappt. Kein Grund zur Aufregung. Aber schade um den ganzen Aufwand.