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Berlins kleine Spreephilharmonie

Musik Mit einem spektakulären Konzertprogramm wurde am Wochenende der Pierre-Boulez-Saal in der Barenboim-Said-Akademie eröffnet. Der Saal hat eine akustische Stärke, die nicht immer von Vorteil ist

Die Musiker sind im neuen Pierre-Boulez-Saal zum Anfassen nah, denn es gibt kein Podium, das sie entrückt Foto: Peter Adamik

von Katharina Granzin

Er ist das Runde im Eckigen – und damit (obwohl Daniel Barenboim schon vorab stolz verkündet hatte, dies sei der „einzige ovale Konzertsaal der Welt“) eine Überraschung, als man endlich hinein darf. Von außen nämlich gibt sich das Gebäude der Barenboim-Said-Akademie mit seiner historisierenden Fassade ausgesprochen eckig. Auch im Foyer, das, spektakulär genug, über drei Etagen und lange Treppenfluchten verläuft, ist ausschließlich mit präzisen rechten Winkeln gearbeitet worden: klare Kante. Um so stärker wirkt der Kontrast, wenn man den Pierre-Boulez-Saal betritt, an dem das einzig Rechtwinklige wohl seine Außenwände sind.

Natürlich ist ohnehin alles sehr besonders an diesem Eröffnungsabend, und normales Konzertpublikum ist auch noch nicht da. Der Saal ist mit seinen 680 Plätzen nicht sehr riesig und mit geladenen Gästen – die geduldig Schlange gestanden haben, um die Sicherheitskontrolle zu passieren – schnell gefüllt. Die zahlreich erschienene Politprominenz wird gesondert hineingelotst.

Nun ist ein runder Konzertsaal natürlich so eine Sache. Nein, zwei Sachen. Zum einen ist er ein Raum, in dem Menschen sich gern aufhalten sollen: Und das macht dieser Raum hier ausgezeichnet. Architekt Frank Gehry hat einen Saal erdacht, in dem auch das Runde kein normiertes Maß ist. Das perfekt austarierte ovale Ungefähr, das hier herrscht, in dem Geländer in sanften Kurven geschwungen sind und in dem die Sitze in Block E genauso gut sind wie Block A, macht uns alle gleich. Und die Künstler in der Mitte des Ovals sind tatsächlich zum Anfassen nah, denn es gibt kein Podium, das die Vortragenden den Zuhörenden entrücken würde.

Programmatisch demokratisch ist der Saal also zum einen. Mit der klanglichen Demokratie ist es deutlich schwieriger, denn da hat ein runder Konzertsaal klare Nachteile. Wie er klingen würde, dieser Saal, war sowieso eine spannende Sache. Was für einen Konzertsaal hat Daniel Barenboim sich da wohl bestellt, er, der es geschafft hat, für die Staatsoper einen Umbau von unglaublichem Aufwand in Bewegung zu setzen, nur um den Nachhall um ein Weniges zu vergrößern? Jetzt ist klar: Der Pierre-Boulez-Saal ist das konzeptuelle Gegenteil. Der japanische Akustiker Yasuhisa To­yota (der auch das klangliche Profil der Elbphilharmonie formte) hat aus dem Saal ein Gefäß für Klänge gemacht, die zwar mühelos im gesamten Raum wandern können, diesen selbst aber nicht in (Mit-)Schwingung versetzen. Das ist großartig für Bläser, wie gleich beim ersten Stück, ­Pierre Boulez’ „Initiale“ für sieben Blechbläser, zu erleben ist, die, oben auf verschiedenen Seiten des Saals postiert, einen musikalischen Dialog quer durch den Raum führen, in dem die Klänge sich in der Mitte kreuzen, ohne akustisch ineinander zu verwischen. Auch der Solo-Auftritt des fulminanten Klarinettisten Jörg Widmann, der eine frühe Eigenkomposition spielt, ist ein akustisches Aha-Erlebnis. Wenn Widmanns Klarinette singt, spricht, röhrt, füllt sie den gesamten Saal. Doch mit dem Versiegen des Luftstroms im Instrument schweigt auch der Klang sofort.

Barenboim dirigiert noch nach dreieinhalb Stunden mit enormer Präsenz

Ein Klanggefäß, das solche Präzision ermöglicht, erfordert sie andererseits auch und wirft die Ausführenden auf sich selbst zurück. Besonders für Sänger ist es eine wichtige Unterstützung, in einem Raum zu musizieren, der die Stimme akustisch verlängert (auch darum ist der Nachhall in der Oper wichtig; nicht nur, damit Barenboims geliebter Wagner noch überwältigender wirkt). Genau das tut der Boulez-Saal nicht, weshalb es wohl schon einer Anna Prohaska, Starsopranistin der Staatsoper, bedarf, um sich seinen Anforderungen zu stellen. Prohaska singt, mit Widmanns Klarinette und Barenboim am Klavier, Schuberts Lied „Der Hirt auf dem Felsen“. Das bewältigt sie in einwandfreier musikalischer Performance. Doch die betörende Schönheit ihrer Stimme kommt nicht so wirkungsvoll wie gewohnt zum Tragen, da sie eben nicht wie von selbst weitergetragen wird – jedenfalls nicht so sehr zu jener Hälfte des Publikums, die im ovalen Saal hinter ihr sitzt und auch noch kein Wort vom Text versteht. Nun gut, aber das Problem kennt man aus der Philharmonie.

Mit einem Konzert von Alban Berg – Michael Barenboim an der Sologeige – und Pierre Boulez’ „Incises“ musiziert das Boulez Ensemble im Anschluss zwei ungemein anspruchsvolle Werke für Kammerorchester. Daniel Barenboim ist unermüdlich im Einsatz und dirigiert noch am Ende des dreieinhalbstündigen Abends das spektakuläre „Incises“ mit enormer Präsenz – und einem Überraschungsmoment am Schluss. Schon scheint das Stück abgeschlagen, doch schwebt noch irgendwo ein leises Klingen im Raum – als sei es wirklich der Raum selbst. Kann doch nicht sein? Was auch immer es war: Mit einer letzten, leichten Bewegung der Dirigentenhand verstummt es. Nur das leise Rauschen der Klimaanlage ist noch zu vernehmen.

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