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Stimmungsumschwünge zwischen Sabu, Kaurismäki und dem Berlinale PalastDie Lage auf dem Arbeitsmarkt bleibt für Auftragskiller angespannt

Draussen im Kino

von Detlef Kuhlbrodt

Auf der Berlinale durchlebt man unterschiedliche Stimmungen, die durch Arbeit, Wetter und die unterschiedlichen Filme geprägt sind. Manchmal ist man verstört, wie nach dem mexikanischen Dokumentarfilm „La libertad del Diablo“, der vom Drogenkrieg in Mexiko erzählt. Unter Gesichtsmasken berichten Opfer und Angehörige von Verschwundenen oder Ermordeten, von dem, was ihnen angetan wurde; erzählen jugendliche Killer vom Töten, ehemalige Polizisten und Soldaten von Korruption, Mord und Folter.

Manchmal geschieht das Erwartete, und man ist etwas enttäuscht wie nach „Wilde Maus“ von Josef Hader. Man hat den Eindruck, dass das alles unrea­lis­tisch ist. Vielleicht stört es einen auch, dass der Film auf Deutsch ist. Bei nicht deutschsprachigen Filmen, die man nicht mag, hat man zumindest das Gefühl, ein bisschen Sprache zu lernen oder woanders zu sein.

Berlin von außen beschreibt Cate Shortlands Thriller „Berlin Syndrome“, der von einer jungen Australierin erzählt, die hier zu Besuch ist. Sie interessiert sich für DDR-Architektur, macht Fotos, rennt am Kotti herum. Sie trifft auf einen jungen Lehrer. Sie haben Sex. Er ist komplett gestört, schließt sie in der Wohnung ein. Sie versucht, zu entkommen, es geht um die Beziehung zwischen beiden. Nach einer halben Stunde weiß man, dass einen das alles nicht interessiert. Dann ist wieder Nacht. Im Berlinale Palast werden nicht nur Promis, sondern jeder gefilmt und auf der Leinwand ausgestellt wird. Hoffentlich hat mich niemand gesehen.

Vom Eingeschlossensein erzählt auch der spanische Thriller „El Bar“ von Álex de la Iglesia. Acht unterschiedliche Charaktere sind zufällig am Nachmittag in einer Bar in Madrid. Vor der Bar wird plötzlich ein Mann erschossen. Im Klo stirbt ein sehr dicker Mann. Es kommt keine Polizei. Draußen ist plötzlich niemand mehr. Panik. Angst. Paranoia. Die Eingeschlossenen wenden sich gegeneinander. Das Schicksal der Protagonisten ist mir egal; nur die Frau in mittleren Jahren, die jeden Tag am Automaten spielt, ist sympathisch. Der Angestellte der Bar wirft ihr vor, sie hätte seinen Gästen immer nur den Rücken zugekehrt und sich nicht für sie interessiert. Sie antwortet, sie hätte allen immer den Rücken zugekehrt, weil sie sich nicht den Blicken der anderen aussetzen wollte. Sie nimmt sich dann das Leben.

Manchmal ist man deprimiert, dann wieder glücklich wie nach „Mr. Long“ von Sabu und schaut sich zu Hause Videos der japanischen Girlgroup Perfume an, die in dem Film zitiert werden, und alte Filme des japanischen Regisseurs. Als gelernter Literaturwissenschaftler freu ich mich darüber, dass das Auftragskiller-als-Koch-Motiv schon in „Postman Blues“ (1997) auftaucht, in dem ein krebskranker Killer berichtet, dass seine berufliche Situation sehr schwierig wäre, weil es zu viele Killer in Japan gebe – viele würden deshalb als Koch arbeiten oder Nudeln ausliefern, wenn sie gerade keine Aufträge hätten.

Übermüdet sitze ich am nächsten Morgen dann im Kaurismäki-Film, der mir gut gefällt. Auch, dass die Leute ständig rauchen. Wie auch bei Sabu. Danach gehe ich zu Lidl, kaufe mir Ölsardinen, Gurken und Kartoffeln, um das Gericht, dass in dem Film eine Rolle spielt, fürs Mittagessen nachzubauen, zu fotografieren und bei Facebook zu posten. Es schmeckt sehr gut. Vielleicht muss man nur lernen, seine wechselnden Stimmungen nicht so wichtig zu nehmen. Vielleicht liegt darin auch ein utopisches Element; Stimmungswechsel zeigen, dass das Leben auch anders sein kann.

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