Kommentar von Georg Löwisch
: Stift, Notizblock, Freiheit

Erdoğans Kalkül: Wenn einer eingesperrt ist, denken alle ans Gefängnis

Das Handwerkszeug des Journalismus sind ein Stift und ein Block. Die Voraussetzung für den Journalismus ist die Freiheit.

Noch bevor am Montag klar wird, dass Deniz Yücel, der Türkei-Korrespondent der Welt, auf unbestimmte Zeit im Gefängnis bleiben muss, hat jemand einen Einfall. Yassin Musharbash, Reporter der Zeit, schreibt in sein Notizbuch: #FreeDeniz. Und: Journalism is no crime. Er fotografiert das Papier und twittert dazu, andere Journalisten sollten es ihm gleichtun. Zunächst reagiert kaum jemand. Manchmal dauert es etwas mit der Solidarität. „Yallah, wo sind eure Blöcke?“, fragt Musharbash.

Seither haben Dutzende mit einem Notizblockfoto ihre Solidarität bekundet. Wir tun dies in dieser Ausgabe ebenfalls. Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten sitzen in der Türkei hinter Gittern. Sie haben Namen, und diese Namen schrei­ben wir in die Zeitung, auf den Titel und auf die Seiten danach.

In der Türkei wird die freie Presse schon lange zensiert, blockiert und drangsaliert. Dennoch ist die Entscheidung, dass Deniz Yücel in Haft bleibt, selbst im Sultanat des Recep Tayyip Erdoğan ein Einschnitt. Er will nun auch gegenüber der internationalen Presse Stärke zeigen. Sie prägt das Bild des Machthabers in der Welt. Und dieses Bild ist relevant für die Frage, wie groß der Spielraum bleibt, den Erdoğan bei politischen Geschäften mit dem Ausland hat.

Bisher wandten Erdoğans Büttel die Methode an, missliebige Vertreterinnen und Vertreter ausländischer Medien zu vertreiben. Zwei türkische Mitarbeiterinnen der BBC und der New York Times beispielsweise hat der Präsident selbst lautstark attackiert; sie verließen das Land. Ein Reporter des Wall Street Journal wurde zweieinhalb Tage inhaftiert; er flog nach Hause. Aber Deniz Yücel, den behält Erdoğan jetzt: als ganz großes Zeichen der Abschreckung, als Fanal.

Die Wirkung kann verheerend sein. Wer wird beim Schreiben nicht Deniz Yücels Inhaftierung im Kopf haben? Die Logik ist so simpel wie wirksam: Wenn einer festgehalten wird, denken alle ans Gefängnis. Aber Deniz Yücel im Kopf zu haben heißt immerhin auch, seinen Mut im Kopf zu haben. Und die Solidarität, die seine Verhaftung gerade hervorbringt. Wenn ein Journalist angegriffen wird, sind alle in Gefahr. Wenn sie einen einsperren, müssen alle dagegen aufstehen.