: Die zwei, drei Leben der Maria T.
Balladesk Maria Taylor bildet eine Hälfte des kalifornischen Indie-Duos Azure Ray, aber sie kann auch solo: Das stellte sie am Mittwoch bei einem Konzert im Grünen Salon unter Beweis
von René Hamann
Ihr Ehemann. Und ihr Exfreund aus Highschooltagen. Ihr Bruder, der Bass spielt (einen schönen, alten Höfner-Bass, wie man ihn von Paul McCartney kennt). Die zwei Kinder, die irgendwo still im Dunkel des Grünen Salons der Volksbühne sitzen und für die eigentlich erst Mittag ist, denn sie sind virtuell noch in der kalifornischen Zeitzone unterwegs. Die ganze verdammte Familie hat sie mitgebracht. Drei Männer, die ihr nahestehen, und dann noch so ein Typ, der Gitarre spielt: Maria Taylor lebt auf kleiner Bühne ihre kleine Welt aus.
Auch in ihren Texten ist die Musikerin, die nicht nur solo unterwegs ist, sondern auch die eine Hälfte des Indie-Duos Azure Ray bildet, gern nah am Tagebuch. Wenn man besonders bei den solo zur Klampfe vorgetragenen, schweren Countrystücken der mädchenhaften Dame aus dem Saddle-Creek-Umfeld genau aufpasst, erfährt man ihr Geburtsdatum (sie ist inzwischen schon 40), ihre Herkunft (Tochter eines Sänger-Lehrer-Ehepaars) und den Verlauf ihrer Karriere. Die ein oder andere seltsame Geschichte von und mit Männern in Bars inklusive. Den Rest kann man sich dann zusammen reimen: Die musikalische Autobiografie ist also nichts, was dem R&B-Genre vorbehalten ist – wo die Familienerzählung ja zuletzt eine gewisse Rolle gespielt hat. Auch kleinere Königinnen des Indierocks fächern also gern öffentlich ihre Leben auf. Und klar, denkt man: Das öffnet den Resonanzraum und damit auch die Relevanz und hebt die Liebeslyrik vom Allgemeinen ins Spezielle.
Was aber vielleicht gar nicht stimmt so. Maria Taylor, eine sehr schlanke, kleine Frau mit langen dunklen Haaren, die in ihren Lederstiefeln wie im Moor versinkt – ah ja, genau, wieder eine dieser düster wirkenden, dabei handfesten Frauen mit Gitarre –, ist nämlich selbst gar nicht klar, wie viel größer als das Leben ihre Stimme tatsächlich ist und ihre Musik bisweilen auch. Die bezieht ihre Spannung daraus, dass Maria Taylor immer etwas neben den Genregrenzen probiert: Country mit Popappeal, bei Azure Ray gern mit elektronischen Elementen; auf ihren Soloplatten mit subkutanem Boogie, mit noisiger Katharsis oder auch mal mit kokettem Beat-Hüftschwung. Und darüber ihre Stimme, stets dunkel, nie überkandidelt, immer perfekt. Und es ist das Poppige, das sie etwa von Marissa Nadler unterscheidet; etwas, das sie mit Conor Oberst – mit dem sie mal zusammen war – gemein hat: das Düstere stets schmissig zu halten, sodass auch MTV zumindest theoretisch noch mitkommt.
Der große Durchbruch
Für den großen Durchbruch hat es für Maria Taylor aber aus irgendeinem Grund nicht gereicht. Weder am Anfang, als sie bei Little Red Rocket spielte, noch später mit Orenda Fink bei Azure Ray (deren Single „New Resolution“ einer dieser zu Unrecht unbekannt gebliebenen Superhits war). Auch ihre Solokarriere passt sich eher in ihr Leben ein, wie es aussieht, statt sie darüber hinaus zu tragen.
Vielleicht ist das auch verständlich: Die Zeiten sind andere geworden. Auch die mit Folkmusik erwachsene Boheme, egal ob nun aus Portland, aus New York, Los Angeles oder Omaha, möchte irgendwann einen festen Schlafplatz ihr eigen nennen. Und vielleicht ist Familie ein Konzept, das dann funktioniert, wenn sie mit der Musik Hand in Hand geht: Deshalb spielt der Bruder den Bass und der Ehemann die dritte Gitarre. Und der Exfreund das Schlagzeug – vielleicht auch, weil er eingesehen hat, dass er mit seinen eigenen Talenten auch nicht weiterkommen wird als die schillernde Frau, die da vorne steht. Und jünger werden wir alle nicht. Und wer wird ihr noch zuhören, wenn sie 50 ist?
Passend dazu heißt ihr neuestes Album „In The Next Life“ – dem ersten Höreindruck zufolge klingt es zwar nicht wesentlich anders als ihr Debüt „11:11“ von 2005, nur dass ein offensichtlicher Hit wie „Song Beneath The Song“ nicht sofort aus der Hülle fällt. Auf den zweiten Blick fällt auf, dass das zweite, dritte Leben nicht ohne die große Versöhnung mit der eigenen Vergangenheit zu haben ist. Daher findet sich auch ein Duett mit Conor Oberst auf der Platte („If Only“), daher spielt auch Exfreund Louis Schefano das Schlagzeug.
Die in Berlin hausenden Reste ehemaliger New Yorker Greenwich-Village-People sollten dem aufgeschlossen gegenüberstehen. Vielleicht ist doch Kalifornien die Antwort auf Airbnb und Neukölln; und Familie muss nichts sein, was die Musik killt.
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