Die Wahrheit: Hühnerpisse aus dem Automaten

In einem englischen Pub wird derzeit eine besonders fiese Methode der Rationalisierung ausprobiert. Sie könnte sogar den Wirt überflüssig machen.

So etwas kann nur in England funktionieren: ein Automat, der Bier ausspuckt. Das Kreditkartenunternehmen Barclaycard hat in Henry’s Bar in London eine solche Maschine versuchsweise installiert. Bierkenner, von denen es sogar in England einige gibt, machen seitdem einen großen Bogen um den Laden. Die Bedienung des Geräts ist so einfach, dass es auch nach dem sechsten Glas noch klappt. Man wählt auf dem Bildschirm das Produkt, hält seine Kreditkarte an das Lesegerät im Sockel und stellt das Glas unter den Hahn. Dann fließt die Brühe.

Der gesamte Vorgang dauert 60 Sekunden. Am besten funktioniert es mit Ale, weil es noch dünner und schaumloser ist als das helle Lagerbier, auch als Hühnerpisse bekannt. Das Bier wird vermutlich vorgewärmt, damit es den englischen Trinkgewohnheiten entspricht. Barclaycard warnte, dass der Automat die ausgeschenkte Menge messe und nach einem Pint, also 0,56 Litern, automatisch abschalte. Hastiges Abtrinken mit einem Strohhalm sei also vollkommen nutzlos.

Das Unternehmen hat in der Weihnachtszeit Untersuchungen in englischen Pubs angestellt und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass ein Kunde 12 Minuten auf sein Bier warten muss. Am Abend kommen bei einem Verbrauch von drei Pints 35 Minuten Wartezeit zusammen, rechnet das Unternehmen vor. Sind seine Kreditkartenabrechnungen mathematisch ähnlich zweifelhaft, oder wird das dritte Bier tatsächlich eine Minute schneller gezapft? Ein Viertel der Befragten habe in Erwägung gezogen, wegen der Wartezeit auf das Bier zu verzichten, behauptet Barclaycard. Sitzt der Engländer dann auf dem Trockenen und beobachtet andere Gäste beim Schlange stehen, dem beliebtesten Inselhobby? Der Schriftsteller George Mikes schrieb einmal, dass „ein Engländer selbst dann eine ordentliche Warteschlange bildet, wenn er allein ist“.

Die Bedienung im Pub dauert auch deshalb so lange, weil die Wirte ihrer Kundschaft nicht über den Weg trauen. Jedes Getränk muss sofort nach Erhalt bezahlt werden. Manche Durstige wenden Tricks an, um schneller bedient zu werden. Ein Drittel versucht, den Barkeeper anzulächeln, andere wedeln mit Geldscheinen. Ein Fünftel wechselt die Kneipe, wenn die Schlange zu lang ist.

„Jeder stand im Wirtshaus mal hinter einer Person, die einen komplizierten Cocktail oder eine Runde für zehn Freunde bestellt hat“, meinte Tami Har­greaves, Direktorin von Barclaycard. „Wir wollten mit einer einfachen Methode helfen, dieses verbreitete Problem zu lösen.“ Es sei eine „Win-win-Situation“ für Wirt und Trinker.

Wozu braucht man aber überhaupt noch einen Wirt? Man könnte doch auch Automaten für Wein und andere Getränke anbringen und Pappbecher bereitstellen, was für englisches Ale ohnehin stilechter wäre. Da das Rauchen in Kneipen verboten ist, könnte man die Automaten auch draußen anbringen. Oder auf der Toilette. Dann spart man sich nach Konsum des Dünnbiers das Hin- und Herlaufen.

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Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net

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kari

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