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Körperliche Mitarbeit

Performance Die Choreografin Mette Ingvartsen, die demnächst mit Chris Dercon an der Volksbühne arbeiten wird, zeigt sich vor dem Wechsel im HAU mit einer Werkschau

von Katrin Bettina Müller

Das ist eine eigenartige Erfahrung. Man sieht und hört in dem Bühnenstück „The Artificial Nature Project“ von Mette Ingvartsen durchaus, wie die Performer, in Overalls mit Kapuzen gehüllt, schwer auf der Bühne arbeiten, teils mit lauten Maschinen wie Laubbläsern, teils in irrem Tempo Material umschichten, in Eimer füllen, wegbringen, auskippen. Die Performer werden zu schwer malochenden Bühnenarbeitern. Und doch reagiert man als Zuschauer viel weniger auf deren schweißtreibende Arbeit denn auf die Bilder, die sie hervorbringen und hinter denen sie verschwinden.

Aus reflektierenden Materialien, aus metallisch glänzenden Schnipseln und Folien und aus Licht erzeugen sie Erscheinungen, die an Naturschauspiele erinnern. Man sieht Lichtpunkte aufsteigen und herabregnen, Fontänen aufschießen und Wellenbewegungen. Man fühlt sich an Feuerwerk und an Vulkanausbrüche erinnert.

Die dänische Choreografin Mette Ingvartsen war am HAU seit 2004 oft eingeladen und sie wird zu den Künstlern gehören, die mit dem neuen Intendanten Chris Dercon an die Volksbühne gehen. Dass sie jetzt in der nächsten Woche im HAU Teile einer zwischen 2009 und 2012 entstandenen Serie, „The Artificial Nature Series“, wieder aufführt, war eine bewusste Entscheidung vor dem Wechsel: „Für meine Company und für das Theater (HAU) war es wichtig, bevor die neue Zusammenarbeit mit der Volksbühne beginnt, noch einmal etwas von dem zusammenzufassen, was wir zusammen gemacht haben.“

Die „Artificial Nature“-Serie besteht aus fünf Werken. Nicht in Berlin aufgeführt werden kann zum Beispiel ein Part, „The Light Forest“, bei dem die Zuschauer nachts durch einen Wald einen Hang hochsteigen mussten, geleitet von Lichtern in den Bäumen. Aber wenn Mette Ingvartsen davon erzählt, ahnt man schon, dass sich ihre Werke auch mit einer romantischen Auffassung von Landschaft verbinden lassen. Auch im „Artificial Nature Project“ kann man sich oft an das Interesse von Freiluftmalern und Impressionisten erinnert fühlen, dem Licht nachzuspüren und seiner Bedeutung für unsere Wahrnehmung.

Aber das ist nur eine Seite. Die Bilder auf der Bühne verändern sich und wecken dabei auch andere Assoziationen an die Natur und den Umgang mit ihr. Darunter durchaus alarmierende Szenarien. Das geschieht durch den anhaltenden harten Sound, durch Maschinengeräusche, durch das Spiel mit gold- und silberglänzenden Rettungsfolien, aber auch durch die Dringlichkeit in der Bewegung der Performer. Bilder von Naturkatastrophen und ökologischen Desastern scheinen auf.

„Die Stücke haben definitiv mit einem Nachdenken über den Verfall der Natur und Umweltproblemen zu tun und mit der Art, in der wir Menschen, besonders in der westlichen Welt, unsere eigenen Wünsche von Konsum und Verbrauch über den Gedanken stellen, was dieser Konsum der Umwelt oder der nichtmenschlichen Welt antut“, bestätigt die Choreografin.

Sie sucht auch gerne in Solostücken und Lectures den direkten Kontakt mit dem Publikum, erzählt (in englischer Sprache) über ihre Gedanken, breitet aus, wie eine Performance aussehen könnte, fordert die Imagination und auch die körperliche Mitarbeit des Zuschauers. Selbst Teil zu werden wird dabei leicht gemacht. Ihre Lectures sind oft überraschend witzig und lehrreich zugleich.

Die künstliche Natur

Mette Ingvartsen, geboren 1980 in Aarhus und in Brüssel ausgebildet, zeigt ihre Arbeiten in Berlin seit 2004 am HAU. Ab der kommenden Spielzeit gehören sie und ihr Partner, der Choreograf Boris Charmatz, zu den Künstlern, mit denen Chris Dercon an der Volksbühne arbeiten wird.

Die Werkschau „The Artificial Nature Series“ zeigt vom 22. bis 25. Februar im HAU drei Stücke der Choreografin und einen Dia­logabend. In „Speculations“ ist Mette Ingvartsen selbst in einer Lecture-Performance zu erleben, in „Evaporated Landscapes“ und „The Artificial Nature Project“ entstehen landschaftliche Bilder. Weitere Information unter www.hebbel-am-ufer.de

Performance und kunsthistorischer Vortrag durchdrangen sich zum Beispiel in ihrem Solo „69 Positions“, gewidmet der Geschichte von Happenings, von Skandalisierung von Nacktheit auf der Bühne, von der Darstellung von Sexualität und von feministischen Positionen. Im HAU lief das Stück 2015. Am Ende hatte man mehrere Jahrzehnte einer Geschichte durchquert, in der KünstlerInnen und PhilosophInnen immer wieder einen Ansatz suchten, die Politisierung des Körpers zu begreifen und sichtbar zu machen.

Das ist auch der thematische Strang, an dem Mette Ingvartsen an der Volksbühne weiterarbeiten will, zwei Stücke sind für die erste Spielzeit in Vorbereitung.

Choreografen arbeiten immer mit dem Raum, Ingvartsen ist sehr an der Technik von Licht und Sound interessiert, das zeigt ihre Werkschau wieder. Die Architektur der Bühne und der Volksbühne insgesamt ist für sie eine Herausforderung. Sie freut sich darauf, herauszufinden, wie sie das in ihre Arbeit einbeziehen kann. „Wenn man Performances macht“, sagt sie, „dann ist die erste Begegnung mit dem Publikum der aufregendste Moment: In ihm zeigt sich, was die Arbeit tatsächlich tut.“ Ähnliches gilt für den Anfang an einem neuen Theater. Was sie dort lernen kann, wird die Zeit ihr zeigen.

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