Die Mythen der PR-Philosophen

Martin Baltes führt vor, dass die Macht der Marken mittlerweile die postmoderne Gesellschaft zusammenhält

Wer sich heute noch darüber aufregt, dass Werber, ohne rot zu werden, von der „Philosophie“ eines bestimmten Produkts oder einer Marke sprechen, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. War es vor Jahrzehnten vielleicht legitim, den Begriff der Philosophie retten zu wollen, so sind heute Markenimages die lebenspraktische Umsetzung konstruktivistischer Theorie: Die Marke stellt Subjektivitäten überhaupt erst her – die der Käufer und die der Angestellten der globalen Big Brands. Insofern ist sozusagen die Macht der Marken der Kitt der postmodernen Gesellschaft in fragilen, immateriellen Zeiten.

Während in kritischen Analysen meist die Krisenhaftigkeit postmoderner Produktionsweisen in den Vordergrund gestellt wird, betont Martin Baltes, Herausgeber eines Bandes über „Marken. Labels. Brands“, hingegen ihre Stabilität – dank der Macht der Marken. Diese Macht stehe beispielhaft für die Auswirkungen der Immaterialität.

Die materiellen Produkte sind letztlich austauschbar: Ob nun mit „Swosh“ oder den drei Adidas-Streifen, produziert wird unter den gleichen miserablen Bedingungen und mit denselben, möglichst billigen Materialien. Eine funktionierende Markenpolitik zeichne sich indes dadurch aus, dass sie als Ersatz für das Produkt eine „Community“ aufbaut, mit Werten, Ansichten, Gefühlen, Bilderwelten. Die Zugehörigkeit zu dieser Gemeinschaft kann man sich über den Kauf der Produkte sichern, so einfach ist das Erfolgsrezept.

Grundlagentexte von Karl Marx über Max Horkheimer und Theodor W. Adorno bis Vance Packard, Roland Barthes, Jean Baudrillard oder Klaus Theweleit, aber auch Texte von Werbern und PR-Strategen zeichnen die Entwicklung von PR, Werbung und Kulturindustrie hin zum Branding nach. Immer wieder geht es dabei um die „religiösen Aspekte der Warenwirtschaft“, wie der Markenberater Alexander Schubert sie nennt. Schon Marx erkannte, dass die Ware „metaphysische Spitzfindigkeiten und theologischen Mucken“ entwickle, wie es im berühmten Fetisch-Kapitel des Kapitals heißt.

Im Übergang von der Ware zur Marke etabliere sich, so Schubert, ein Bedeutungssystem mit Parallelen zu „mythischen bzw. religiösen Diskursen“: So wie Kreuz, Davidstern und Halbmond Identifizierungsangebote sind, so werden der goldene McDonald’s-Bogen, der Mercedes-Stern und andere Symbole der Markenmacht in religiöser Ehrfurcht verehrt. Wobei es eine zentrale Bedeutungsänderung gegeben hat: Wesentliche Funktion der Markenbotschaft ist heute die Motivation der eigenen Belegschaft. Hier ist die Schnittstelle zwischen Konsumtions- und Produktionssphäre; insofern sind diese beiden Bereiche in der Analyse auch nicht mehr zu trennen.

Inzwischen geht die Macht der Marke sogar so weit, dass sie sich „ihre Antithese einverleibt“, wie Schubert das nennt: so genannte No-Name- oder Billigmarken sind so erfolgreich, weil sie das Erfolgsrezept der Community-Bildung weitertreiben: Auch Gehirnwäscheparolen wie „Geiz ist geil“ wirken identitätsstiftend. Mit Paolo Landi, Benetton-Werbedirektor, kommt schließlich auch noch ein Apologet der neuen Werbung zu Wort: „Durch den Schritt in die Welt der Werte befreit die Marke das Produkt aus dem Kontext von Ware und Fertigung und macht es zu einem eigenständigen sozialen Wesen.“

Wenn die Identität einer Marke sich etabliert habe, werde das Produkt selbst zu einem Attribut der Marke; es muss in der Werbung nicht mehr gezeigt werden. Selbst die heile Welt der Werbung ist nicht mehr notwendig, und auch Konflikte werden zu Werbezwecken darstellbar. Nur der letzte radikale Schritt, nämlich gar keine Werbung mehr zu machen, ist für Landi nicht denkbar, würde er sich somit doch nur selbst wegrationalisieren.

In den letzten Jahren, so Herausgeber Baltes, sei allerdings eine weitere Entwicklungsstufe erreicht. „Seither ist Selbstironie so korrumpiert, dass man sich davor hüten muss“, wird Naomi Klein, Wegbereiterin der Anti-Marken-Bewegung „No Logo“, zitiert. Baltes schließt mit einem Aufruf zu einer Art zweiten Aufklärung, vielleicht weil die Situation so ausweglos erscheint: „Letztlich ist die Marke wie Gott. Sie besteht nur aus unserem Glauben an sie.“ Ist der zerstört, ist alles vorbei. Und das lässt doch wieder hoffen – um im religiösen Jargon zu bleiben. GOTTFRIED OY

Martin Baltes (Hg.): „Marken. Labels. Brands“. orange-press, Freiburg 2005, 223 S., 15 Euro