Elementare Laiber

Viele Bäcker haben sich heute der Industrie verschrieben: Konservierungsstoffe, Backzusätze und Treibmittel. Aber es gibt auch immer noch andere. Echte Brotbäcker

VON TILL EHRLICH UND RALF PIERAU

Es ist vier Uhr morgens. Der 42-jährige Bernd Stelzer steht am Steinofen und schürt das Feuer. Es ist dunkel. Der Ofen glüht. Die Glut muss jede Stunde geschürt werden, Stelzer legt immer wieder Fichtenscheide nach. Er schürt das Feuer so lange, bis der Ruß verbrannt ist und die Backsteine weiß glühen. Das dauert bis sechs Uhr.

Er bedient einen fränkischen Bauernbackofen mit so genannter Direktbefeuerung, dessen Prinzip schon die alten Ägypter kannten. Der Ofen selbst sieht wie ein Brot aus. Vier Meter ist der Durchmesser, 85 Zentimeter beträgt die Höhe. Der gelernte Maschinenbaumeister Stelzer hat ihn selbst nach alten fränkischen Plänen aufgebaut. Um ihn anzufeuern, benötigt er jedes Jahr 80 Kubikmeter fränkische Fichte. Er spaltet die Zweimeter-Stämme aus der Försterei selbst.

Die finale Befeuerung ist um sechs Uhr. 45 Minuten später zieht Stelzer die Glut nach vorn, der Ofen hat jetzt eine Temperatur von 600 Grad. Die Schamottsteine des Ofens sind sechs Zentimeter dick. Sie dürfen nur um die Hälfte durchglühen. Sind die Steine zu heiß, verbrennt das Brot. Sind sie zu kalt, backt es nicht durch. Die Steine müssen eben weiß ausglühen. „Das ist unser Thermometer“, erklärt Stelzer.

Stelzer kann auf sein Fingerspitzengefühl und seine Erfahrung vertrauen. Seit 1997 steht er am Ofen. Und das fünfmal in der Woche. Inzwischen ist es sieben Uhr. Jetzt nimmt er die Glut aus dem Ofen. Mit einem nassen Lappen kehrt Stelzer die Asche aus. Mit dem langen Stab schwingt er das nasse Tuch, lässt es kreisen. Im Ofen hat er noch eine feuchte Hitze von 350 Grad. Jetzt muss alles schnell gehen. 50 bis 90 Brotlaibe treten auf dem Brotschieber die Fahrt in den Ofen an. Diese sind aus einem besonderen Brotteig gefertigt. Er besteht aus 100-prozentigem Roggenmehl, gemahlen im Umland von fränkischen Bauern. Die Mahlung ist sehr fein, damit das Brot aufgeht. Die Brotlaibe fertigt seine Frau, Beate Stelzer, 36.

Die einzigen Zusätze, die die Laiber ertragen müssen, um Brot zu werden, sind: Mehl, Wasser und Natursauerteig. Zum Schluss kommt noch Salz hinzu. Alles natürlich, nichts vermerkungspflichtig. Es ist ein Dreistufen-Natursauerteig. Während in herkömmlichen Bäckereien und Großbäckereien der Gärprozess verkürzt wird, beträgt er hier fast 24 Stunden.

Das Brot ist gierig, braucht viel Wärme und Zuwendung, um ein Laib zu werden. „Man muss dahinter sein“, sagt Beate Stelzer. Den ganzen Tag kümmern sie sich um den Sauerteig. Früh wird er angesetzt, mit Mehl und Wasser gefüttert. „Sauerteig ist gefräßig!“ Alle sechs bis acht Stunden muss er neu vermengt werden.

Um sieben Uhr 30 sind alle Brote im Ofen, nach 45 Minuten sind die ersten, die Zweipfünder fertig. Die Klopfprobe: „Wenn es hohl klingt, ist es durchgebacken.“ Eine halbe Stunde später kommen die Vierpfünder feinwürzig duftend aus dem Ofen.

Eine andere Art des archaischen Brotbackens gibt es mitten in Berlin, in Kreuzberg. Am Südstern backt Peter Klann, 47, in einem Tonofen. Sein Vorbild war ein Bauernofen in Südfrankreich. „Soluna“ heißt seine Bäckerei. Sein Holzofenbrot nennt er schlicht „Rundling“. Es hat den Ruf, eines der besten in Deutschland zu sein. Klann walkt den Sauerteig noch mit den Händen. Keine Nostalgie, sondern Konzept. „Ich fühle mich wohl“, sagt er, „wenn ich den Teig selbst geknetet habe. Ich habe das Mehl gespürt, angefasst, ich kenne meinen Teig.“ Klann meint: „Ein Brot ist ein Laib. Kein Kasten!“ Brot gehört zum Leben.

Im Mittelalter war es das tägliche Brot. Für die Mönche ein Hauptnahrungsmittel. Bis zu zwei Kilo davon betrug eine Tagesration. Hinzu kamen noch getrocknete Hülsenfrüchte, Käse, Fett, ein wenig Salz und Honig. Brot ist ein gewichtiges Teil der Menschheitsgeschichte. Seit ungefähr 10.000 Jahren baut der Mensch Getreide an. Zuerst um sie im Ganzen zu verspeisen. Später begann er die Körner zu zerkleinern und mit Wasser zu vermischen.

Brot hat eine Kultur, der sich heute wieder glücklicherweise Fachleute wie Peter Klann und Ehepaar Stelzer verschrieben haben. Sie müssen sich gegen die Brote und Brötchen aus den Tiefkühlfächern in deutschen Backshops durchsetzen. 80 Prozent davon kommen übrigens fix und fertig aus Indonesien. Sie werden in den Backshops nur aufgebacken. Da fröstelt es Klann: „Für mich ist Brot ein Stück Lebenskultur. Es muss die Basis bleiben.“

TILL EHRLICH, 40, und RALF PIERAU, 39, leben als freie Journalisten in Berlin