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General Lucky und sein glückloser Krieg

Nigeria In einer Stadt an der kamerunischen Grenze trifft ein Luftangriff auf Boko Haram deren Opfer

Das Vertriebenenlager nach dem Luftangriff Foto: MSF/ap

COTONOU taz | Seit vier Wochen fährt die nigerianische Armee eine Großoffensive gegen die islamistische Terrormiliz Boko Haram und listet mehrmals pro Woche die Erfolge im Antiterrorkampf auf. So gut wie nie sind in diesen amtlichen Bilanzen unter den Opfern Zivilisten. Schon vor Monaten wurde das in Nigeria stark bezweifelt: Kommt es zu Großeinsätzen, dann wird es zwangsläufig auch das eine oder andere zivile Opfer geben.

Jetzt sind es auf einen Schlag über 70. Dazu kommen über 100 Verletzte. Den verheeren­den Angriff der Luftwaffe musste am Dienstagnachmittag General Lucky Irabor, der das Sonderkommando Lafiya Dole in der Provinzhauptstadt Maiduguri im Nordosten Nigerias leitet, verkünden. Die Armee hatte, so Irabor, Informationen darüber, dass sich im Landkreis Kala Balge Anhänger von Boko Haram aufhalten würden. Doch anstatt diese bei einem Luftangriff zu treffen, waren es Binnenflüchtlinge. Sie waren in der Kreishauptstadt Rann untergebracht. Es sei ein „bedauerlicher Irrtum“, sagte Nigerias Präsident Muhammadu Buhari und schickte eine hochrangige Delegation nach Rann.

Der Angriff sorgt weltweit für Entsetzen. Unter den Opfern befinden sich auch sechs Mitarbeiter des Internationalen Roten Kreuzes (IKRK). 13 weitere wurden verletzt. Drei Todesopfer arbeiteten für eine kamerunische Firma, die im Auftrag von Ärzte ohne Grenzen (MSF) Wasserversorgung und Sanitäranlagen im Flüchtlingslager errichten sollte. „Dieser massive Anschlag auf Menschen, die bereits durch die Flucht vor Gewalt geschwächt sind, ist schockierend und nicht hinnehmbar“, sagte Jean-Clément Cabrol, Leiter der MSF-Projektabteilung in Genf, kurz nach dem Angriff.

Der Landkreis Kala Balge im nigerianischen Bundesstaat Borno liegt im äußersten Nordosten des Landes, südlich des Tschadsees an der Grenze zu Kamerun und unweit der tschadischen Hauptstadt N’Djamena. Bei der letzten Volkszählung 2006 lebten dort knapp 61.000 Menschen. Ende vergangener Woche ging die Internatio­nale Organisation für Migration (IOM) davon aus, dass allein in Rann 35.295 Menschen auf der Flucht vor Boko Haram untergebracht sind. Sie sind auf drei Camps verteilt. Die Gegend ist Kriegsgebiet: Bereits im Mai 2014 gab es 200 Tote in Rann bei Ausschreitungen zwischen Boko Haram und einer Bürgerwehr; Ende 2016 wurde gemutmaßt, dass sich Boko-Haram-Führer Abubakar Shekau in dem Landkreis versteckt hält.

Heute zeigen Fotos von IOM, dass vom einstigen Stadtkrankenhaus nur noch die Mauern stehen. Das Kinderhilfswerk Unicef ist den Angaben zufolge die einzige Organisation, die noch eine – wenn auch völlig unzureichende – Versorgung von Kranken anbietet. Die Verletzten des Luftangriffs vom Dienstag mussten deshalb in die Provinzhauptstadt Maiduguri geflogen werden, die mehr als 170 Kilometer entfernt liegt. Auch Nahrungsmittellieferungen erreichen Rann nur unregelmäßig. Hilfsorganisationen beklagen seit Monaten, dass die Straßen im Nordosten Nigerias völlig unzureichend gesichert sind. Entlegene Orte können weiterhin nur per Hubschrauber erreicht werden, ebenso mehrere Landkreise, darunter Kala-Balge.

„Dieser Angriff auf geschwächte Menschen ist schockierend“

Ärzte ohne Grenzen

Über Hilfsorganisationen hatte sich letzte Woche allerdings Bornos Gouverneur Kashim Shettima beklagt: Die meisten, darunter auch Unicef, würden nur Geld ausgeben und sollten Borno so schnell wie möglich verlassen. Katrin Gänsler

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