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Archiv-Artikel

Eine Formsache

Die Rechtsform „Genossenschaft“ bietet Waldorfschulen Vorteile: weniger Risiken, mehr Eigenkapital und bisweilen besseres Kreditchancen

VON TILMAN VON ROHDEN

Am Anfang standen 90 Eltern, deren Kinder in die erste Klasse der drei Münchner Waldorfschulen nicht aufgenommen werden konnten. Diese Eltern wurden initiativ und entschlossen sich im März 1986, eine vierte Waldorfschule zu gründen. Bald aber stand die Elterninitiative vor einer Schwierigkeit: Mangel an Geld. Schließlich fanden sich sieben Elternpaare und drei Lehrer, die das notwendige Startkapital in Höhe von drei Millionen Mark zusammenbrachten. Doch die drohende Haftung im Falle des Scheiterns lastete schwer auf den Schultern dieser Engagierten. Sie überlegten, welche Rechtsform die Schule haben sollte, um ihre Risiken möglichst gering zu halten. 1990 gründeten sie eine Genossenschaft als Träger der Waldorfschule in Ismaning. Ein Novum in Bayern.

Normalerweise sind Waldorfschulen als Vereine eingetragen. Erst in jüngster Zeit ist die Genossenschaft als alternative Rechtsform am Horizont aufgestiegen. Rolf-Dieter Frey, Geschäftsführer der Waldorfschule in Ismaning, hält nach Jahren der Erfahrung das Genossenschaftsmodell für die bessere Variante. Denn strenge gesetzliche Maßstäbe würden bei Genossenschaften für mehr Sicherheit sorgen. „Nach einer Prüfung wissen die Schulen genau, wo sie stehen und können zukünftige Risiken besser steuern.“ Vereine unterlägen im Gegensatz zu Genossenschaften nicht dem Handelsgesetzbuch und dem Genossenschaftsrecht. Deshalb würden sie nicht jedes Jahr überprüft.

Genossenschaften böten auch Vorteile beim Sammeln von Eigenkapital, erklärt Frey. Denn Eltern müssen Genossenschaftsanteile zwingend zeichnen; bei Vereinen brauchen sie oft nicht einmal Mitglied zu sein, um ihr Kind auf eine Waldorfschule schicken zu dürfen. Die Eltern in einer Genossenschaft seien Miteigentümer der Schule und übernähmen deshalb verstärkt Verantwortung. „Unser Neubau aus dem Jahr 2002 hätte ohne die gezeichneten Genossenschaftsanteile und das Engagement der Eltern nicht verwirklicht werden können“, sagt Frey.

„Eine Prüfung“, so Mario Müller vom Prüfungsverband deutscher Verkehrsgenossenschaften, „übt eine heilsame Druckwirkung aus. Daneben initiiert sie auch Lerneffekte, sodass Genossenschaften aus Prüfungen letztlich in ihrer Kompetenz gestärkt hervorgehen.“ Müller ist „begleitend“ tätig: Er berät seine Prüflinge regelmäßig und wendet drohenden Schaden frühzeitig ab. Ein positives Ergebnis wird im Jahresabschluss bestätigt. „Ich musste diesen Vermerk bisher noch nie verweigern“, sagt Müller. Dies spreche für das Verfahren, das auch manche Vereine ohne Zwang anwenden würden. Vereine haben außer ihren Pflichten gegenüber dem Finanzamt kaum gesetzliche Vorgaben zu erfüllen. „Dies macht sie anfällig für Missmanagement“, gibt Müller zu bedenken.

Die Prüfung einer als Genossenschaft geführten Waldorfschule kostet rund 10.000 Euro. Berücksichtige man, dass Prüfer in gewissem Sinne auch Berater sind, seien die Kosten durchaus angemessen, sagt Müller. Insbesondere weil sich der Bestätigungsvermerk eines unabhängigen Prüfungsverbandes bei Gesprächen mit Banken positiv auswirke. Denn nach den Rechtsvorschriften für Banken (Basel II) soll es keine Kreditkonditionen mehr von der Stange geben. Die Zahlungsfähigkeit jedes Kreditnehmers wird individuell geprüft. Die Güte des Ratings durch Banken entscheidet über die angebotenen Konditionen: Je besser die Bonität desto geringer die Kreditzinsen. Maßgeblich im Rating sind Eigenkapital und Transparenz, die das Einschätzen eines Unternehmens erst ermöglicht. Sowohl Müller als auch Frey glauben, mit dem transparenten und überprüfbaren Genossenschaftsmodell im Vorteil zu sein.

Auch der Zentralverband deutscher Konsumgenossenschaften, dem sich fünf genossenschaftliche Waldorfschulen angeschlossen haben, nennt „Basel II“ als Stichwort, um für die Genossenschaft zu werben. Eine Rechtsform sei schwer zu ändern. „Zu viele komplizierte juristische Fragen machen einen Wechsel der Rechtsform fast unmöglich. Deshalb ist die Gründung einer Waldorfschule eine strategische Entscheidungssituation“, sagt Burchard Bösche, Vorstand des Zentralverbandes.

Auch wenn das Modell Genossenschaft für Waldorfschulen viele Vorteile bieten mag – kreditgebende Banken haben ihre eigene Perspektive. Die Bochumer GLS-Bank, die schon viele Waldorfschulen finanziert hat, gibt Geld, „wenn das finanzielle Konzept der Waldorfschule stimmt und Randbedingungen wie eine stabile Elternschaft erfüllt sind“, sagt Sprecher Christof Lützel. „Dies gilt unabhängig von der jeweiligen Rechtsform des Trägers.“

Ganz ähnlich argumentiert die Berliner Sparkasse. Genossenschaften und Vereine seien sich hinsichtlich der Kapitalhaftung ähnlich. Was in einem Falle Genossenschaftsvermögen heiße, nenne sich im anderen Vereinsvermögen. „Für Banken macht dies keinen Unterschied“, sagt Sprecherin Cornelia Reichel. Böten Vereine geringe Transparenz, müssten sie im Kreditfall nachlegen. „Genossenschaften und Vereine werden den gleichen Anforderungen an Eigenkapital und Transparenz ausgesetzt.“ Bankberater stünden bereit, das notwendige Zahlenwerk und weitere Unterlagen zu erarbeiten. Eine optimistische Perspektive. Meist hört man, dass Kreditsuchende hilflos ihrem Schicksal überlassen bleiben.

Prüfungsverband der Deutschen Verkehrsgenossenschaften: www.pv-hamburg.de; Zentralverband deutscher Konsumgenossenschaften: www.zdk.coop