: Außer- und überirdisch gut
Virtuose Elefantenmensch, Doctor Who, Alien, Zauberstabmacher Ollivander: Ein Nachrufauf den großen Schauspieler John Hurt
In einer seiner besten Rollen ist John Hurt kaum zu erkennen: In David Lynchs „Der Elefantenmensch“ gibt er dem körperlich deformierten Titelhelden John Merrick durch sein Spiel seelische Kontur – als Mann, den die Gesellschaft als Skurrilität und Monster behandelt. Nach einer Hetzjagd durch den Bahnhof von London stößt er, demaskiert und verzweifelt, auf der Toilette in die Ecke gedrängt, einen Klageschrei aus: „Ich bin kein Tier, ich bin ein menschliches Wesen.“ Zum Tier machen ihn die Blicke und das Verhalten der Mitwelt. Zum Menschen macht ihn das Spiel von John Hurt.
Auch unvergesslich: Wenn in „Alien“ das außerirdische Wesen unter Konvulsionen der von Hurt dargestellten Figur durch dessen Brust blutig nach außen bricht. Wieder ein Moment an der Grenze zwischen dem, was menschlich, und dem, was nichtmenschlich ist. So was sind dankbare Rollen für einen Virtuosen wie Hurt, dem aber auch in darstellerischen Mittellagen so ziemlich alle Instrumente zur Verfügung standen, die ein Schauspieler in seinem Repertoire haben kann. Aber noch im Extremen hat er wunderbar nuanciert. Das stundenlange Sitzen in der Maske in „Der Elefantenmensch“ hat er gehasst, aber wie er als gebrochener und doch aufrechter Mann sitzt, flieht und geht, das hat mit der Maske gar nichts zu tun.
Hurts breites Repertoire reichte von der Verkörperung des schwulen Exzentrikers Quentin Crisp (ihn stellte er im Abstand von dreißig Jahren in gleich zwei Filmen dar) bis zum Kurzauftritt als wohl legendärste britische Serienfigur: In eine Jubiläumsfolge spielte er im historischen Rückblick sogar Doctor Who. Der Ritterschlag durch die Queen folgte 2015. Sir John Hurts charakteristische und bis zuletzt wunderbar geschmeidige Stimme machte ihn zu einem beliebten Synchronsprecher, im 2016 fertiggestellten Dokumentarfilm „The Final Reel“ gibt er als Voiceover-Erzähler noch der Geschichte der Liebe der Briten zum Kino von den Anfängen bis in die Gegenwart seine Stimme. Dem ganz breiten Publikum wird er aus den „Harry Potter“-Filmen als Zauberstabmacher Ollivander in Erinnerung bleiben.
John Hurt gehörte, wie etwa sein sieben Jahre älterer Kollege Michael Caine, zu den Darstellern mit wenig Berührungsängsten. Am Theater und im Film, in Hollywood wie in seiner britischen Heimat, spielte er weg, was so kam, aber er gab noch Nebenfiguren in wenig bedeutenden Filmen Prägnanz und im Zweifelsfall Würde. Mal subtil, mal grob, mit im Alter zusehends zerfurchten und umso markanteren Zügen, war er durch die Jahrzehnte hinweg als Charakterdarsteller gefragt und beliebt.
Weitergedreht hat er auch nach der Krebsdiagnose 2015, und zwar bis zuletzt. Er ist im in dieser Woche anlaufenden Biopic „Jackie“ als Priester zu sehen. Und er blieb bis zum Ende furchtlos: In „That Good Night“, der nun erst nach John Hurts Tod in die Kinos kommen wird, spielt er in seiner letzten Hauptrolle einen todkranken Mann, der sein Leben in Ordnung zu bringen versucht. Auch eine Art, dem herannahenden Tod ins Auge zu blicken.
Am 25. Januar ist John Hurt im Alter von 77 Jahren gestorben. Ekkehard Knörer
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