piwik no script img

Mit der Straßenbahnin die Berge fahren

Mobilität Madrid verfügt über ein gut ausgebautes und günstiges Nahverkehrssystem. Und es sperrt auswärtige Autos rigoros aus

Gegen den Smog: Fahrverbot in diesem Winter Foto: Susana Vera/reuters

Aus Madrid Reiner Wandler

Madrilene? Umweltbewusst und Freund der Berge? Dann beginnt der Ausflug in die Sierra de Guadarrama mit ihren 2.430 Metern Höhe auf dem Bahnhof in Atocha oder an jedem anderen Halt des weit verzweigten Netzes von Nahverkehrszügen, den Cercanías. Zuerst geht es nach Cercedilla, einem Dorf am Fuß des Gebirges, etwas mehr als eine Zugstunde vor der spanischen Hauptstadt entfernt. Dort wartet die Linie C9. „Tranvía“ – Straßenbahn – nennen die Dorfbewohner die Schmalspurbahn aus dem Jahre 1925, die 19 Kilometer durch das Gebirge zuckelt und die vielen erlebnishungrigen Ausflügler schließlich auf 1.830 Metern Höhe in den Bergen absetzt.

Es mischen sich Wanderer mit Rucksäcken, Kletterer mit ihrer Ausrüstung und Familien mit Picknickkorb im Sommer, Pilzesucher im Herbst, Bergsteiger mit Pickel und Steigeisen, Tourengeher mit ihren Skiern sowie Jugendliche, die mit ihrem Snowboard eines der beiden Skigebiete hier oben aufsuchen. Im Winter ist der Zug oft so gefragt, dass wer hochfährt, angeben muss, mit welchem Zug er zurückwill. Das Besondere an der Linie C9 ist die Umweltkarte. Egal von wo in der Region Madrid kostet die Reise einheitliche 8 Euro 70. Es lohnt sich also nicht, zuerst einmal mit dem Auto zu fahren, um dann in das Gebirgsbähnchen umzusteigen.

Nicht nur in der Freizeit, auch auf dem Weg zur Arbeit benutzen viele Madrilenen den öffentlichen Nahverkehr. Zu den 370 Kilometern Zug in der Region kommen Stadtbusse, knapp 300 Kilometer Metro (U-Bahn) sowie Überlandbusse in alle Dörfer ringsherum, bis weit hinein in die Nachbarprovinzen Avila, Guadalajara, Toledo oder Segovia. Kaum irgendwo in Europa ist das Netz so gut ausgebaut und fährt es sich so preisgünstig wie hier. Ein Einzelfahrschein für Bus und Metro in Madrid kostet gerade einmal 1 Euro 50, die Zehnerkarte 12 Euro 20.

Dennoch hat Madrid ein Verkehrsproblem. Wer vom Ausflug aus den Bergen zurückkommt, kann es sehen. Boina – die Baskenmütze – nennen die Madrilenen die sulfurgelbe Dunstglocke, die sich oft wochenlang über der Stadt hält und von weither sichtbar ist. Stickstoffoxide des Pkw- und Lkw-Verkehrs sind der Hauptgrund dafür. Ab 2025 soll damit Schluss sein. Madrids neue Bürgermeisterin, Manuale Carmena, von der Bürgerliste Ahora Madrid (Jetzt Madrid) rund um die junge Partei Podemos will bis dahin die Stadt dieselfrei machen. So ihr Versprechen auf einem Klimagipfel mehrerer Großstädte Anfang Dezember.

Madrid hat sich in den vergangenen Jahren stark geändert. Längst vorbei sind die Zeiten, als der Hauptstädter mit dem Auto überall problemlos hinkam. Ein Großteil der innerstädtischen Bezirke ist mittlerweile nur noch für die Bewohner im Pkw zugänglich. Die wenigen Stadtteile, in denen das noch nicht so ist, werden in den kommenden Monaten ebenfalls mit Kameras versehen, die unerbittlich jeden mit einem hohen Bußgeld belegen, der sich über das strikte Verbot hinwegsetzt.

Serie: Gut vorankommen

Weltweit wachsen die Metropolen rasant und ersticken im zunehmenden Verkehr. Lärm und Abgase machen den Menschen zunehmend zu schaffen. Zudem ist der Verkehrssektor einer der größten globalen Klimakiller. Wie die Städte diese Probleme den Griff kriegen wollen, untersucht die taz in dieser Serie. Los ging es mit Berlin, wo ein rot-rot-grünes Dreierbündnis regiert.

Vergangene Folge: Peking

Gleichzeitig soll der öffentliche Nahverkehr attraktiver werden. Seit vergangenen Sommer dürfen jetzt auch Hunde in die U-Bahn. Und außerhalb der Hauptverkehrszeiten können neuerdings auch Fahrräder mitgenommen werden. Das Ganze hat nur einen Haken: Es fehlt ein ordentliches Netz von Radwegen.

Mit einem tut sich Madrid noch immer schwer – mit Fußgängerzonen. Egal wo eine Straße für den Verkehr völlig geschlossen wird, kommt es zu Protesten der Geschäftsinhaber. Sie fürchten um ihre Kunden. Und das, obwohl alle Erfahrungen zeigen, dass Geschäfte in Fußgängerzonen beliebter sind als die außerhalb.

Dieser Tage debattiert Madrid erneut über die Einschränkung des Verkehrs. Bürgermeisterin Carmena traute sich erstmals, mehrere Hauptverkehrsadern in der Vorweihnachtszeit teilweise oder ganz für den Verkehr zu schließen; darunter die Madrider Prunkstraße Gran Vía. Die ehemalige konservative Bürgermeisterin und jetzige Oppositionsführerin im Stadtrat, Esperanza Aguirre, protestierte scharf.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen