Berliner Szenen: Erdgeschosswohnung
Gustavzu Besuch
Immer wenn ich bei mir die Treppe hoch laufe, stelle ich mir vor, wie schön es wäre, im Erdgeschoss zu wohnen. Drei Etagen sind nicht viel und doch zu viel nach dem Einkauf, wenn man Kohlebriketts schleppen muss. Einfach die Tür auf machen und zu Hause sein, ein Traum! Doch die einzige Freundin, die Parterre in Kreuzberg wohnte, ist nicht meiner Meinung.
Sie war es gewohnt, dass Menschen durchs Fenster reinschauten: Manche dachten, es wäre ein Café oder ein Coworking Space, andere waren einfach neugierig. Je nach Stimmung war es sympathisch oder erschreckend, zwei Hände und eine platte Nase hinter der Glasscheibe zu entdecken.
Zwei Mal wurde sie bestohlen. Die Diebe sind nicht eingebrochen, sondern haben die Tür aufgemacht und ihren Laptop und ihre Kamera genommen; sie war in der Küche und kriegte nichts mit. Die Tür blieb manchmal geöffnet, damit ihre schwarze Katze wieder reinkommen konnte. Eines Nacht saß sie an ihrem Computer, die Katze lief schnell wie ein Blitz an ihr vorbei, direkt hinter ihr ein bellender Labrador und am anderen Ende der Leine sein verzweifeltes Frauchen, das „Gustav! Gustav!“, rief und mit all ihren Kräften den riesigen Hund zu stoppen versuchte. Hund und Frau machten einige schnelle Runden durch die Wohnung wie in einem Cartoon, meine Freundin rannte hinterher, von der Katze fehlte jede Spur.
Als Gustav endlich merkte, dass er seine Beute verloren hatte, kam er zu Ruhe. Meine Freundin streichelte ihm den Kopf und bot der Frau ein Glas Wasser an. Die entschuldigte sich tausend Mal und ging nach Hause, es war drei Uhr nachts. Später tauchte die Katze wieder auf, ihr Herz noch im Galopp. Wie schön es wäre, in einer dritten Etage zu wohnen, dachte meine Freundin also und fing an, sich eine neue Wohnung zu suchen. Luciana Ferrando
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