: Blutend, aber ungebrochen
PUNKIVAL Beim Punkfilmfestival „Too Drunk To Watch“ werden ab heute die Punkszenen der späten 70er und frühen 80er Jahre von Vancouver bis Johannesburg wiederauferstehen
VON GASTON KIRSCHE
Auch wenn die Veranstalter es bescheiden „Punkfilmfest“ nennen – in den kommenden vier Nächten gibt es ein wahres Punkival auf den Leinwänden zu sehen. Just in den Stadtteilen, wo anarchistisch orientierte Hamburger Punx mit Saufpunx im Schlepptau erfolgreich Häuser besetzten (Schanzenstraße), oder wieder geräumt wurden (Beim grünen Jäger) und sich gegen die Vertreibung aus dem öffentlichen Raum wehrten (Spitzenplatz). Es waren die rebellischen ersten Jahre des Punk um 1980. Die Geschichte der frühen Hamburger Punx ist noch nicht in einem Film erzählt worden.
Aber welche Bedeutung das Smugglers Inn, auf dessen Schild „Cosmopolitan Action Bar“ stand, für den Punk im repressiven Südafrika zu Apartheidszeiten spielte, wer sich im Manors House im kanadischen Vancouver an den Wänden mit Filzstift verewigte oder was Schmuck aus dem vorkolonialen Afrika mit Afropunk in New York zu tun hat – all dies ist jetzt in spannenden, mehr oder weniger mit ruhiger Hand gedrehten Dokumentationen auf dem Punkfilmfestival zu sehen.
Graumelierte Männer und Frauen erzählen aufgeräumt und ohne Abzuschwören von der Rebellion mit Gitarre, Bass, Drumstick und kräftigen Texten. Auch wenn der Rücken beim Stagediving wohl nicht mehr mitmachen würde – bei den VeteranInnen des Punk. Der Rhythmus der Dokus ergibt sich fast von selbst: Talking Heads in den Interviews – nein, ich meine jetzt nicht die legendäre Postpunkband. Die Gesprächssequenzen kontrastieren angenehm mit heftigen Konzertausschnitten. Der Aggressionsabbau beim Pogotanzen vor der Bühne, auf selbiger Bands die sich bis über die Schmerzgrenze hinaus verausgaben und alles geben.
In „Afropunk“ lässt Regisseur James Spooner viel schwarze Punx in den USA zu Wort kommen: Von der überwältigenden Energie ist die Rede, die bei Punkkonzerten freigesetzt wird, das gefilmte Pogotanzen sieht hier fast wie Kickboxen aus. Ein großes Thema ist es, eine Minderheit in der Minderheit zu sein: Punk war und ist vor allem ein Ding von weißen Jugendlichen. Im Vorspann wird das Lied „Rock’n’Roll Nigger“ der wunderbaren – weißen – Patti Smith zitiert: Sie singt davon, außerhalb der Gesellschaft sein zu wollen, benutzt dafür das N-Wort. Im Unterschied zu ihrer freien Wahl wird von der rassistischen Dominanzkultur aus der Gesellschaft ausgegrenzt, wer wegen seines Aussehens als „Nigger“ beschimpft wird. Ohne sich dies aussuchen zu können. „Afropunk“ nimmt teil am Alltag einiger schwarzer Punx, lässt sie von Selbstbehauptung und gegenseitiger Unterstützung erzählen, von nichtrassistischem Umgang unter Punx verschiedener Hautpigmentierung.
Allein die teilweise etwas verwackelte und verrissene Kameraführung von James Spooner und Kira Kelly, nervt etwas.
Ganz anders in „Bloodied but Unbowed“, Blutend aber Ungebrochen, in dem Regisseurin Susanne Tabata selbst Kamerafrau war. Der oft originelle, aber ruhige Bildaufbau bei den Interviews – da sitzt die ehemalige Bassistin Mary-Jo Kapechne von den Modernettes auf dem Kotflügel ihres Pickups – kontrastiert mit grobkörnigen wie kernigen, manchmal hektisch gefilmten historischen Konzertausschnitten. Susanne Tabata hat als Radiomoderatorin selbst miterlebt, was sie jetzt dokumentiert: Die frühe Punkszene im kanadischen Vancouver von 1977 bis 83. Und sie hat sie alles vor die Kamera bekommen: Von Mary Armstrong, die jetzt auf dem Land in Alberta eine Pferdefarm hat, bis hin zu Randy Rampage und Joe Shithead, die immer noch von Gig zu Gig touren. Und der Titel des Filmes ist so passend wie punkpoetisch.
Er hätte auch zu „Punk in Africa“ von Keith Jones und Deon Maas gepasst .Denn es geht um die Szene in der Republik Südafrika, wo die erste Punkband sich provokativ „4. Reich“ nannte, wo der Staatsapparat Plattenveröffentlichungen als „unerwünscht“ zu verhindern versuchte. Gezeigt wird nicht nur die Punkszene – wobei auch hier die Interviewsequenzen spannend sind, oft wird zwischendurch die Gitarre hervorgeholt und über einen Riff gelacht – sondern der unerträgliche repressiv normierte Alltag auch der privilegierten weißen Bevölkerungsgruppen.
Zwanghaft glücklich strahlende Familien in Werbespots sind in den Film montiert, und Reklame der Armee: „Ons is wenners“ heißt es da, zu stählernen, strahlend weißen Soldatenbildern. Es war die Zeit des Krieges in Namibia gegen die Unabhängigkeitsbewegung. Wehrpflicht. So erzählt ein Punkmusiker, wie er zwei Jahre in einer Militärkapelle dienen musste Und dabei noch Glück hatte. 1976 war der Jugendaufstand im Township Soweto, in dem sich SchülerInnen den Armeepanzern entgegenstellten. Auch 1985 wurde ein Aufstand gegen die Apartheid militärisch unterdrückt. Klar, dass Punkplatten Namen hatten wie „Beat! Apartheid“. Punk in Südafrika – das war musikalisch wie in den Texten ein revolutionäres Statement gegen Apartheid, gegen Rassismus. Während in den Städten der Weißen die Auftritte verboten wurden, waren die Konzerte in den Townships der Schwarzen legendär. Ivan Kadey von der Band „National Wake“ erzählt, wie verdächtig sie als gemischte Band von Schwarzen und Weißen der Polizei waren. In dem Haus, das sie als WG bewohnten, lief täglich mehrmals die Polizei auf. Permanenter Verfolgungsdruck. Viele Bands lösten sich auf. Neue entstanden. Seit dem Ende des Apartheidsregimes 1994 gibt es eine enorm agile Szene von Bands, die Punk und Ska mischen – mit allem bis hin zur polnischen Polka. Der Film „Punk in Africa“ ist eine echte Perle – auch für Nichtpunks.