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Paradies auf 4 Quadratmetern

Übernachten Raus aus der Kälte, raus aus der Massenunterkunft: In Friedrichshainstellt eine Gemeinde für Obdachlose Hütten bereit, die sonst auf Musikfestivals stehen

Von Lisbeth Schröder

Das eigene Reich – ein Traum für viele Obdachlose. Andreas (Name geändert) lebt ihn, zumindest über Nacht. Seine Hütte ist zwar nur vier Quadratmeter groß, dafür besitzt er ein weiches und halbwegs warmes Bett. Viel mehr aber auch nicht: Ein Spiegel hängt noch an der Wand, blumige Gardinen säumen das Fenster und ein paar seiner Wertsachen verstaut er unter dem Bett. Eine kleine Heizung versteckt sich ebenfalls dort. Sie hält die Hütte einigermaßen warm. Für jeden Toilettengang muss Andreas aber wieder ein paar Schritte raus in die Kälte, meist auf ein Dixi-Klo, das genau wie die Hütte auf dem Gelände der Kirchengemeinde St. Antonius in Friedrichshain steht.

Andreas schläft erst seit Kurzem in einer der vier Hütten, die er von achtzehn bis acht Uhr nutzen kann. Diese Mobile Lodges waren zuvor bei Festivals wie dem Melt! oder Deichbrand im Einsatz. Festivalgänger mieten sie für etwa hundert Euro pro Nacht für ein gemütlicheres Camping, erklärt Nico Marotz von der Vermieterfirma.

Nun mietet sie die St.-Antonius-Gemeinde, finanziell unterstützt von der Caritas, als weitere Übernachtungsmöglichkeit für Wohnungslose. Die Festivalgänger versuchten zwischen schrammeligem Punk oder wummerndem Techno Ruhe zu finden. Andreas hingegen genießt die Stille. Er schlief zuvor in der nur wenige Meter entfernten Notübernachtung der Gemeinde und ist einer der wenigen, die umziehen konnten. Die Hütte kann er bis spätestens März nutzen – dann werden sie bald wieder auf den Festivals gebraucht.

Die meisten Obdachlosen sind in der kalten Jahreszeit schon froh über einen Fleck im Warmen: In Berlin kommen auf die etwa 700 im Winter bereitgestellten Schlafplätze nach Schätzungen der Caritas und des Diakonischen Werks rund 11.000 Menschen ohne Wohnung.

Diakon Wolfgang Willsch, der das Projekt der Festivalhütten an der Gemeinde St. Antonius betreut, sieht die Situation in Berlin kritisch: „Die Möglichkeiten der Unterbringung von Obdachlosen haben sich unglaublich verengt und verteuert“, erklärt er, „wir brauchen günstigen und, wenn es Aufstellmöglichkeiten gibt, flexiblen Wohnraum.“

Auch die Notübernachtung neben den Festivalhütten wurde immer voller. Etwa 20 Betten bietet die Einrichtung im Haus der Gemeinde. Andreas schlief mit vier anderen in einem Raum: „Da hört man jeden Klogang – trappel, trappel, trappel“, erzählt er. „Nun bin ich morgens nicht mehr so gerädert wie andere“, erzählt Andreas und will die Kraft für die Suche nach ­einer richtigen Wohnung nutzen.

Eine Unterbringung in einer der Hütten komme nur für diejenigen infrage, die die Regeln der Notübernachtung auch ohne Aufsicht befolgen können. Sie sei „gewalt-, alkohol- und drogenfrei“, so Willsch. Die Bewohner sollten angesichts der aktuellen Temperaturen auch nicht zu kälteempfindlich sein. „Die Lodges sind relativ gut isoliert“, erklärt Nico Marotz von der Vermieterfirma. Sie wären aber diesen Winter zum ersten Mal im Einsatz und seien noch in der Experimentierphase.

Nur vier Quadratmeter, dafür mit einem weichen und halbwegs warmen Bett

Noch in der Testphase

„Wir würden gerne noch den ganzen Winter erleben und schauen, wie es den Männern damit geht“, meint Diakon Willsch. Er könne sich aber vorstellen, das Projekt im nächsten Jahr weiterzuführen. Rechnen würden sich die Hütten allerdings nicht, da sie teurer seien als ein Schlafplatz in der Notübernachtung. Davon müssten laut Willsch mehr in der Innenstadt geschaffen werden, die Hütten seien nur eine kurzfristige und alternative Unterbringungsmöglichkeit.

Andreas jedenfalls ist heilfroh über seinen Schlafplatz: Im Gegensatz zur Straße sei die Hütte das „Paradies hoch zwei“.

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