: Seelennot schneller behandeln
Psychotherapie 2,6 Millionen Krankschreibungen wegen seelischer Probleme gibt es jährlich. Psychotherapeuten müssen ab April eine Sprechstunde anbieten. Der Zugang zur Behandlung soll einfacher werden. Viele Therapeuten sehen das kritisch
Um den Zugang zur Behandlung leichter zu machen, müssen Psychotherapeuten mit Kassenzulassung ab April dieses Jahres allwöchentliche Sprechstunden abhalten. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) beschloss dazu eine entsprechende Änderung der Psychotherapie-Richtlinie. Behandler mit einem vollen Praxissitz haben zukünftig Sprechstundenzeiten von mindestens 100 Minuten pro Woche anzubieten.
„Die Sprechstunde ist verpflichtend“, sagt Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer, „aber mehr Behandlungsplätze entstehen dadurch nicht:“ Die Kammer drängt schon seit Jahren auf mehr Praxissitze, doch die geltende, hochumstrittene Bedarfsplanung sieht keine Vermehrung, sondern sogar eine Verringerung der Kassensitze vor. Im Durchschnitt warten Patienten drei Monate auf einen Therapieplatz. Es gibt 24.000 psychotherapeutische Praxissitze mit Kassenzulassung. Aber mehr als 2,6 Millionen Krankschreibungen im Jahr wegen seelischer Probleme.
Die Kassen sinnen schon länger darauf, die vorhandenen Behandlungskapazitäten auf mehr Patienten zu verteilen, also kürzere Therapien anzubieten. Laut der neuen Richtlinie können die Patienten innerhalb der Sprechstunde bis zu sechsmal 25-minütige Gespräche bekommen, außerdem soll es Akutbehandlungen mit bis zu 24 etwa 25-minütigen Gesprächen geben.
Bislang durchlaufen 70 Prozent der PatientInnen Kurzzeittherapien mit bis zu 25 Stunden von jeweils 50 Minuten.
Viele Psychotherapeuten, insbesondere Psychoanalytiker, sehen die Verpflichtung zur Sprechstunde kritisch. „Weil man keinen Behandlungsplatz hat, wird man in den meisten Fällen nichts anbieten können“, sagt Georg Schäfer, niedergelassener Psychoanalytiker in Bonn und im Bundesvorstand der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT). „Die Frage ist, inwieweit dieser Kontakt in der Sprechstunde dem Patienten überhaupt nützt, wenn er doch im Vorhinein weiß, dass ich ihn gar nicht nehmen kann.“ Der Engpass bei den Behandlungsplätzen, so Schäfer, werde durch eine verpflichtende Sprechstunde nur „eine Stufe weiter nach vorne verlagert. Das eigentliche Problem ist die unzureichende Bedarfsplanung.“
In der Sprechstunde könnte man allerdings auch Gespräche vereinbaren, zu denen die Patienten dann mehrmals wieder in die Sprechstunde kommen, erklärt Barbara Lubisch, Bundesvorsitzende der Deutschen Psychotherapeuten-Vereinigung (DPtV) und niedergelassene tiefenpsychologische Therapeutin in Aachen. „Man kann die Sprechstunde als Bestellsprechstunde führen.“ Eine Art Ambulanz ohne Voranmeldung wären diese Sprechstunden dann zwar nicht, trotzdem wären die Wartezeiten auf einen ersten Kontakt erheblich kürzer als bisher.
Lubisch findet es richtig, dass das Angebot der Sprechstunden kommt, auch wenn dies für viele Behandler den Druck durch die Hilfesuchenden erhöhen werde. Bisher sei es oft so, dass die „Telefonfitteren“, die lange Therapeutenlisten durchklingeln, durchkämen. Künftig, in den Sprechstunden, könnte ein Therapeut eher einschätzen, „welcher Patient das drängendste Problem hat und diesen dann eventuell vorziehen“. Barbara Dribbusch
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