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Mütterbewegungswerk

SPORT VON UNTEN Von Israel aus soll Cachibol, eine Breitensportvariante des Volleyballs, die Welt erobern. Mamanet, so nennt sich das Projekt, ist mittlerweile die größte soziale Sportinitiative des Landes

aus Jerusalem Alina Schwermer

Suzan Shuraty sammelt nach dem Training erst mal Klamotten ein. In schwarzen Plastiksäcken stapelt sie die Wäsche, keine verschwitzten Sportshirts, sondern Kleiderspenden, die sie in den Kofferraum ihres Wagens räumt. „So viele Sachen“, sagt Shuraty, als könne sie es selbst kaum glauben. Die kleine, energiegeladene Israelin hat bei ihren Mannschaftskameradinnen Kleidung für vernachlässigte Mädchen gesammelt. Eine Randnotiz an diesem windigen Abend vor einer Turnhalle im Süden Jerusalems, aber eine, die viel über das Selbstverständnis der Frauen sagt.

Shuraty und die anderen elf Frauen haben sich hier in einem gutbürgerlichen Vorort getroffen, um Cachibol zu spielen, eine langsame Volleyball-Variante. Aber weil ihr Netzwerk Mamanet sich zugleich als soziale Bewegung sieht, pflegen sie nebenher ihr ehrenamtliches Engagement für Frauen – und haben damit erstaunlichen Erfolg: Mamanet ist mittlerweile das größte soziale Sportprojekt Israels und die größte Frauenliga des Landes; über zehntausend Frauen machen mit. Jetzt expandiert die Bewegung im Eiltempo in andere Länder, auch nach Deutschland. Die Idee: ein weltweites Frauenprojekt.

Wie schafft es eine Volleyballvariante, die weder besonders schnell noch besonders anspruchsvoll ist, derart viele Frauen anzuziehen? In der geräumigen Turnhalle in Jerusalem sieht alles unspektakulär aus. In schlabbrigen T-Shirts und engen Leggins versammelt sich in der Halle eine Klien­tel, wie man sie sonst beim Zumbakurs oder im Fitnessstudio treffen würde: Alle Level der Sportlichkeit, von der trainierten Hobbysportlerin bis zur Frau, die ihre Kilos unterm weiten T-Shirt versteckt. Es herrscht entspannte Breitensportatmosphä­re einer bunt gemischten Gruppe. Nur eines haben die Mitglieder gemeinsam: Sie alle sind Mütter.

Sport als Antithese

Mamanet richtet sich an eine Klientel, die bisher vom organisierten Sport weitgehend vernachlässigt wurde: Frauen mit Kindern, ein Netzwerk für Mütter also. Und genau das Niedrigschwellige, Unspektakuläre scheint es, was Mamanet möglich macht. Denn dass sie alle zusammen in ausgeglichenen Sechserteams spielen können, geht vor allem deshalb, weil Cachibol nicht gerade olympische Leistungen einfordert. Im Gegensatz zu normalen Volleyball darf man den Ball festhalten, bevor man ihn weiterwirft. Ball fangen, weitergeben, warten auf den nächsten Ball, vielleicht mal zwei Schritte nach links: Wer das kann, ist gut dabei. Wer gern im Adrenalin der Geschwindigkeit badet, sollte lieber woanders suchen. Cachibol ist eine Antithese zum Leistungssport – man bewegt sich gemeinsam, man freut sich dran. Und das, glauben die Gründerinnen, sei eines der Erfolgsgeheimnisse.

„Nichts hält die Frauen von der Teilnahme ab, weil es keine Barriere gibt“, erzählt Meytal Ishai, selbst Mutter von fünf Kindern und 2005 eine von denen, die Mamanet ins Leben riefen. „Hier spielen dicke und dünne Frauen, selbst solche, die nie einen Ball angefasst haben. Unser Slogan ist: Jede Mutter kann es.“ Vor zehn Jahren startete Mamanet als kleines Projekt in der israelischen Stadt Kfar Saba, inspiriert durch Ishais Mitstreiterin Ofra Abramovich, die selbst an einem Cachibol-Kurs teilgenommen hatte. Sie wollte Mütter vom Spielfeldrand in den Mittelpunkt des Geschehens holen – und stieß auf eine Marktlücke. „Viele Frauen hier arbeiten den ganzen Tag“, sagt Ishai. „Sie kommen nach Hause, dann sind da die Kinder und die Hausarbeit, und sie haben keine Zeit, etwas für sich selbst zu tun. Und Mamanet bringt sie dazu, zweimal die Woche rauszugehen, zu trainieren.“

Das alte Bild von der Mutter, die sich kaum für Sport interessiert, weil sie halt Kinder, Küche und Halbtagsjob hat, die ihre Kinder zum Training fährt und vielleicht ab und an mal beim Mutter-Kind-Turnen mithüpft, erwies sich als Irrtum. Doch, die Mütter hatten Lust auf Sport, und ja, sie schafften es auch, sich die Zeit dafür zu nehmen – wenn man sie denn fragt. Abramovich und Ishai kontaktierten die Frauen vor allem über die Schulen der Kinder, um möglichst viele Spielerinnen verschiedener Milieus anzusprechen. „Hier schließen Frauen Freundschaften, die sich im normalen Leben nie kennen gelernt hätten“, glaubt Ishai. Sie nennt Mamanet eine „Bruderschaft der Frauen“.

Schnell hatte die Bruderschaft eine unerwartete Dynamik gewonnen. Erst schossen die Gruppen in Kfar Saba hervor, dann expandierte das Netzwerk in andere israelische Städte. Rund 10.000 Mitspielerinnen hat Mamanet nach eigenen Angaben mittlerweile in Israel; in neunzig Städten gibt es Gruppen. Seit 2014 wächst die Bewegung ins Ausland: Mamanet hat Ableger gegründet in Österreich und in Italien, in den USA, in Kanada, in Frankreich und Spanien. „Die Sportvereine verlieren in vielen europäischen Ländern Mitglieder. Also suchen die Verantwortlichen nach etwas Besonderem, etwas Neuem. Und als sie Mamanet gesehen haben, haben sie gesagt: Das ist das, wonach wir gesucht haben.“

Ishai und ihre Mitstreiterinnen propagieren ihr Projekt mit einem Sendungsbewusstsein, das manchmal ein bisschen viel ist, und das man vielleicht entwickelt, wenn etwas, das winzig klein anfing, plötzlich groß wird. Sie wollen die Welt erobern, darunter machen sie es nicht; „es wird die größte Frauensportbewegung der Erde“, glaubt Ishai, „mit Sicherheit“. Sie selbst investiert vier bis fünf unbezahlte Stunden am Tag für Mamanet, es ist ihre Mission geworden. Mamanet hat verschiedenste Sozialprojekte angestoßen, will so viele Frauen wie möglich mitnehmen: Mädchen aus Heimen, straffällig gewordene Frauen und Seniorinnen etwa.

Die Verantwortlichen propagieren ihr Projekt mit einem Sendungsbewusstsein, das manchmal ein bisschen viel ist. Sie wollen die Welt erobern, darunter machen sie es nicht

„Sie wollen Liebe“

Die treten teils in eigenen Teams, teils in den regulären Mannschaften an. So wie die Mädchen, an die die Kleiderspenden von Suzan Shuraty gehen. Shuraty, Spielerin und Mutter, engagiert sich seit Jahren für Jugendliche, die im Heim leben. Ein Mal pro Woche, so hat sie es organisiert, spielen die Mädchen jetzt mit älteren Frauen zusammen Cachibol. Sie sollen von deren Lebenserfahrung lernen, Selbstbewusstsein finden, Spaß haben. „Sie wollen Liebe“, sagt Shuraty. „Sie fragen immer: ‚Warum kommst du zu uns? Du hast doch eigene Kinder.‘ Ich sage ihnen: ‚Wenn ich komme, kriege ich so viel von euch zurück.‘ Ich liebe es, mit ihnen zu arbeiten.“

Das Engagement kommt nicht ohne Rückschläge aus: Einige Gesellschaftsgruppen sind wenig vertreten, vor allem religiöse Frauen. Bei Mamanet räumen sie ein, dass es nicht leicht sei, sie zu erreichen. Aber sie glauben daran, auch das hinzukriegen; in Österreich gebe es auch schon vielversprechende Erfahrungen mit Musliminnen. Die Pläne sind jedenfalls groß: In diesem Jahr gab es ein erstes internationales Turnier an der Costa Brava, nächsten Juni wollen die Mütter bei den Weltspielen des Internationalen Arbeitersportbunds CSIT in Riga debütieren.

Mittlerweile gibt es noch Turniere für Kinder, und als kleinen Gag ein jährliches Event namens Abanet, wo die Väter auch mal spielen dürfen. Die würden sich immer darüber lustig machen, wie einfach Cachibol sei. „Wenn sie dann schwitzend durch die Halle hechten, sehen sie das ganz anders“, sagt Meytal Ishai grinsend.

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