DABKE Er bringt die Leute zum Tanzen in Paris, London, Syrien: der syrische Keyboarder Rizan Said und sein wunderbarer Synthesizerfolk
: König der Gebrauchsmusik

Klassische Konstellation: vorne Souleyman hinter der Sonnenbrille, hinten Rizan Said am Keyboard Foto: Andy Sheppard/Redferns/getty images

Von Christian Werthschulte

Mit dem syrischen Keyboarder Rizan Said ein Interview zu führen ist etwas kompliziert. „Gerne, mein Freund“, antwortet er auf Facebook, fragt nach meiner WhatsApp-Nummer, um sie an eine Freundin weiterzuleiten. Er spricht kaum Englisch, die Freundin soll ins Arabische übersetzen. Said beantwortet meine ersten Fragen, danach bricht der Kontakt ab. An meinem Schreibtisch im Kölner Norden formt sich eine Assoziationskette. Said stammt aus der umkämpften Region im Nordosten Syriens, laut Face­book wohnt er in Damaskus. Ob es ihm gut geht? Ein paar Tage später scrolle ich durch meinen Facebook-Feed, und ein paar Fotos erscheinen. Während ich mich sorgte, ob Rizan Said eins der vielen Opfer des Kriegs in Syrien geworden ist, hat er ein Konzert im Musée national de l’histoire de l’immigration gespielt. In Paris hält er sich mittlerweile öfters auf.

Alles ein großes Missverständnis also – und damit typisch. Denn eigentlich müsste Rizan Said der bekannteste Musiker seiner Heimat Syrien sein. Mit seinen Keyboardläufen hat er dafür gesorgt, dass Indie­hipster, Weltmusikfans und syrische Flüchtlinge sich auf eine Musik einigen können.

Das Problem ist nur, dass diese Musik nicht mit ihm, sondern mit dem Sänger assoziiert wird, mit dem er seit 20 Jahren zusammenarbeitet: Omar Souleyman. Souleyman trägt Schnurrbart, verbirgt seine Haare unter einer roten Kufija und seine Augen hinter einer Pilotenbrille. Rizan Said verbirgt sich hinter zwei Synthesizern.

„In meinen Augen ist Rizan Said derjenige, der den tradi­tio­nellen Sound syrischer Folkmusik neu aufbereitet. Omar Souleyman gibt dem Ganzen nur ein Gesicht“, sagt Gonçalo F. Cardoso, der gerade das erste Soloalbum von Rizan Said veröffentlicht hat: „King of Keyboard“ ist voll mit kreiselnden Synthiemotiven, die in jedem Song neu aufeinander antworten.

„Ich habe Mitte der 90er angefangen, Synthesizer zu spielen“, erzählt Said. „Vorher habe ich die Busuk, eine Laute, und die Langflöte Nay gespielt.“ Noch heute tauchen beide in seiner Musik auf – als ein Preset, ein vorhandener Sound auf seinem Keyboard.

In Europa und Amerika wird Said von der Pop­avantgarde hofiert. Gemeinsam mit Omar Souleyman spielt er in Thea­ter­sä­len, auch die isländische Sängerin Björk ist großer Fan. „King of Keyboard“ ist zuerst bei einem kleinen libanesischen Label erschienen, größere Aufmerksamkeit hat dann die Vinylausgabe des Londoner Labels Discrepant erhalten, das seit sieben Jahren existiert: „Wir wollten Global Sounds mit einer Avantgardesensibilität mischen“, sagt Labelmacher Gonçalo F. Cardoso. Auf Discrepant wird kunterbunt durcheinander veröffentlicht. Mal sind es Feldaufnahmen von Gongmusik aus Kambodscha, mal ein von Musikethnologen zusammengesteller Megamix aus arabischer Popmusik von den 60ern bis heute. „Ich mag keine Perfektion“, sagt Cardoso. „Rizan passt gut zu unserem Label – mit seinem verrückten Update von Dabke, der Folkmusik der Levante.“

Dabke ist Gebrauchsmusik, gespielt auf Familienfesten oder an Feiertagen, um die Gäste zum Tanzen zu bringen. Auf YouTube finden sich Tausende von Videos, die Ähnliches zeigen: Männer im Anzug und Frauen im Abendkleid fassen sich an den Schultern. Dann hüpfen sie im Takt der Bechertrommel Daburka – mit bestimmten Schrittfolgen, die man vorher einübt. Getanzt wird zu Dabke in vielen Teilen der Welt: in Syrien, Jordanien, im Libanon oder in der US-amerikanischen und europäischen Diaspora.

Rizan Said hat Dabke ins digitale Zeitalter gerettet – aber nicht, indem er in der Art einer europäischen Popavantgarde mit dem Genre bricht, sondern indem er die traditionellen Melodien und Harmonien mit Synthesizer und Sequencer nachspielt. Sein wichtigstes Hilfsmittel dabei ist ein Keyboard, das von einer japanischen Firma in tausendfacher Stückzahl hergestellt wird und das man vom europäischen Halbtonsystem leicht auf das arabische Vierteltonsystem umstellen kann. ­Bevor Saids Heimatstadt Ra’s al-’Ain im Jahr 2012 zum Schauplatz des Kriegs in Syrien wurde, hat er dort fast zwei Jahrzehnte ein Tonstudio betrieben und selber Patches, also Voreinstellungen, für diese Keyboards programmiert. Mit der Dabke­tradition zu brechen hätte auch den Verlust der ökonomischen Lebensgrundlage bedeutet.

„King of Keyboard“ zeigt, wie vielseitig Dabke sein kann, wenn Rizan Said ihn spielt. Wie ein Jazzmusiker improvisiert Said über den programmierten Rhythmen, rast die Skalen rauf und wieder runter und lässt seine Melodien kurze Haken schlagen, um sie beim nächsten Loopende wieder schön auf der Eins landen zu lassen. Auf „The impossible Arab Kurd“ nimmt er die Rhythmen von kurdischen Volkstänzen auf, der zweiten großen Volksgruppe in seiner Heimat Ra’s al-’Ayn. Auf „Cosmopolitan Hacha“ programmiert er Beats in Triolen und erinnert damit an die Hoch-Zeiten des digitalen R&B in den 90er Jahren.

Wie ein Orchester

Said rast über den programmierten Rhythmen die Skalen rauf und wieder runter, lässt seine Melodien kurze Haken schlagen

„When Vans Turn to Clubs“ ist eine Ravehymne. Über einem geraden Four-to-the-floor-Beat breitet Rizan Said seine Synthesizerläufe aus, die wie ein Orchester klingen, dessen Dirigent er ist. Es sind Momente wie diese, in denen klar wird, warum Elektronikproduzenten wie Four Tet so versessen darauf sind, mit ihm und Omar Souleyman Musik aufzunehmen.

Als vor einem guten Jahrzehnt die Keyboards von Rizan Said auf den ersten in Europa veröffentlichten Compilations von Omar Souleyman zu hören waren, kam es zu einer großen Debatte. Ist es Exotismus, die glühenden Liebesschwüre des Sängers und die vertrackten Keyboardläufe Rizan Saids an ein gelangweiltes Alternativbildungsbürgertum mit Nachfrage nach Authentizität zu vermarkten?

Der Irrtum dieser Debatte besteht darin, dass Rizan Said nicht die Musik „der anderen“ „authentisch“ spielt, sondern mehr mit westlicher Popmusik gemein hat, als es seinerzeit formuliert wurde. So wie House eine elektronische Neuformulierung von Soul und Jazz ist, ist der elektronische Dabke von Rizan Said eine Neuformulierung eines Genres unter den Bedingungen erschwinglich gewordener Musiktechnologie – im Zweifelsfall also unecht.

Für sein nächstes Projekt will Rizan Said übrigens mit der libanesischen Sängerin Eliz Murad und ihrer Band Teleferik zusammenarbeiten. Auch sie leben mittlerweile in Paris. Ihr Ga­ragerock aber rumpelt, als wäre er vor Jahrzehnten von Kunststudenten in New York aufgenommen worden.

Rizan Said:„King of Keyboard“ (Discrepant/A-Musik)