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: Trinken, warten, staunen

Die Legende vom heiligen Trinker (Italien 1988; Regie: Ermanno Olmi)

Andreas Kartak ist so ziemlich am Ende. Er schläft unter den Brücken der Seine. Er breitet, wenn er dort auf hartem Pflaster zu Bett geht, Zeitungspapier über sich und wenn er erwacht, blickt er auf Paris, das Wasser, ein paar Schicksalsgenossen. Er hat als Bergmann gearbeitet, er hat mit einer Frau was angefangen, deren Mann er, als dieser seine Frau attackiert, aus Versehen und in Notwehr getötet hat. Er kam ins Gefängnis und als er herauskam, kam er nicht wieder auf die Beine.

Dann begegnet ihm, wie einem ein Wunder begegnet, aus heiterem Himmel ein älterer Herr. Er gibt ihm 200 Francs und bittet ihn, das Geld der heiligen Therèse von Lisieux in einer Kirche im Pariser Bezirk Batignolles zurückzuzahlen. Kartak ist besten Willens, wieder und wieder geht er zur Kirche; und wieder und wieder scheitert er bei seinen Erstattungsversuchen. Es begegnen ihm, wie einem Wunder begegnen, Menschen, die er schon kennt. Ein Schulkamerad, der es als Boxer zu etwas gebracht hat. Der beschenkt ihn, mit Geld, mit einem Anzug; er zahlt ihm den Aufenthalt im Hotel. Es begegnet ihm die Frau, die er liebte, nun direkt vor der Kirche. Und es steht auch, wie im Traum, oder wirklich im Traum, die heilige Therèse plötzlich unter der Brücke am Ufer der Seine.

Ein leichter und schöner Tod

Das Leben des Andreas Kartak, das am Ende schien, nimmt für einen Moment höchst wundersam einen neuen Anfang. So steht es geschrieben in „Die Legende vom heiligen Trinker“, einem postum erschienenen Buch Joseph Roths, das mit den Worten endet: „Gebe Gott uns allen, uns Trinkern, einen so leichten und so schönen Tod!“ Genau so, mit diesen Worten, endet in einem Schriftzug, auch Ermanno Olmis Verfilmung des Buchs. Olmi, den als verspäteten Neorealisten zu sehen seinem eigenwilligen Werdegang als Regisseur nicht gerecht wird, hat diesen Film 1988 gedreht. „Die Legende vom heiligen Trinker“ lief in Venedig und gewann dort den Goldenen Löwen.

Die fast gespenstische Ruhe der Prosa, die dieses späte Werk Joseph Roths auszeichnet, besitzt auch der Film. Andreas Kartak nimmt die Dinge, wie sie kommen; und so gibt sie ihm und so nimmt sie der Film. Mehr als bewegend in seinem Staunen, seiner fast sprachlosen Berührbarkeit durch die Wunder, die ihm begegnen, ist Rutger Hauer als Andreas Kartak. Hauer war mit den frühen Filmen von Paul Verhoeven bekannt und als Replikant in Ridley Scotts „Blade Runner“ unsterblich geworden. (Heute ist er fast nur noch in B- und C-Movies zu sehen.) Er nimmt sich in der Rolle des Trinkers unendlich zurück. Gesprochen wird wenig.

Musik, die ihr eigenes Ding macht

Ein Paris in seltsamer Trance, ein merkwürdig zeitloses Paris, an dem einen die Wunder, die dem Helden begegnen, nicht weiter erstaunen

Olmi schenkt dem Trinker vor allem: Zeit. Hauer sitzt, trinkt, wartet, beobachtet, staunt. Der Film tut es auch. Es ist das Paris seiner Gegenwart, in dem er sich bewegt. Und doch ist es ein Paris in seltsamer Trance, ein merkwürdig zeitloses Paris, an dem einen die Wunder, die dem Helden begegnen, nicht weiter erstaunen. Die Bilder des Kameramanns Dante Spinotti sind schön, aber sind es gerade so nicht zu sehr. Immer in Aktion ist im Film die orchestrierte Musik, die meist ihr eigenes Ding macht, aber die Trance niemals zerstört.

In der Sorgfalt seiner Einstellungen, in seinem Willen zum Schönen ist Olmis „Legende vom heiligen Trinker“ ganz old school; aber dann ist er auch wieder Teil gar keiner Schule, kaum einzuordnen, ein Film aus einer anderen Welt. Ein Film über einen Mann, der versinkt; da helfen zuletzt auch nicht die Wunder, die ihm begegnen. Ein Film, der selbst wie aus versunkener Zeit heraufsteigt und am Ende in sie wieder eingeht. Schwer zu sagen, warum man Hauer und Olmi das alles abnimmt. Aber das tut man. Es ist fast ein bisschen ein Wunder.

Ekkehard Knörer

Die DVD ist ab rund 13 Euro im Handel erhältlich.