zwischen den rillen
: Wenn Zölibatäre unter ihren Rollkragenpullovern ins Schwitzen geraten

Various Artists: „Music with a Message“ (Tramp Records/Kudos)

Warum ihm Jesus stets als weißer Mann präsentiert werde, fragte sich Boxlegende Muhammad Ali im Jahr des Herrn 1971. 2006 prangte Kanye West immerhin mit blutigen Wangen und Dornenkrone auf dem Cover des Magazins Rolling Stone. Ein deutlich entspannterer Heiland mit dunkler Haut grüßt nun vom psychedelisch gepinselten Cover der Compilation „Music with a Message“. Ihr Label Tramp ist ein auf Wiederveröffentlichungen obskurer Funk- und Jazz-Stücke spezialisierte Plattenfirma.

Noch obskurer geht es nicht: „Music with a Message“ widmet sich dem deutschsprachigen Kirchenrock: „Celestial Explorations into German Church Rock“, wie die Sammlung im Untertitel heißt. Dass sich Glaube und verschärfter Groove keinesfalls ausschließen, hatte die Jazzikone John Coltrane bereits 1965 vorgemacht. Coltranes Signatursong „A Love Supreme“ verstand der Saxofonist als humble offering to Him.

Unzählige US-Musiker taten es Coltrane auf der Suche nach transzendentaler Weisheit gleich. Ob Sun Ra, Pharoah Sanders oder Alice Coltrane, alle belebten sie den Spiritual Jazz. Aus Jazz, vermischt mit Pop und Soul, wurde Funk, der auch von Bleichgesichtern in Westeuropa adaptiert wurde.

Sogar die Kirchen mussten sich nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil Mitte der sechziger Jahre diesem Sound öffnen. „Music with a Message“ versammelt nun zwölf christlich geprägte Songs aus der Zeit von 1969 bis 1981. Von den unheilvollen Fuzz-Gitarren von Peter Janssens’„Die Rocker“ bis zum Bizarro-Funk-Pop des Overbacher Jugendchors – total abgespact klingt diese Sacro-Pop-Zusammenstellung. Man gibt es nur ungern zu: Viele der Songs sind sensationell tanzbar, aber auch befremdlich: Nicht nur Atheisten muten die Texte befremdlich an.

Sowjetischer Funk

Günter Stöppel nennt das „Xian Funk“. Stöppel ist seit zwei Jahrzehnten DJ und HipHop-Produzent, und hat sich durch Podcasts für das Ninja-Tune-Label einen Namen gemacht. Dort lebt er seine Vorliebe für raren Funk und Rock aus der ehemaligen Sowjetunion aus. Unter dem Alias John Raincoatman veröffentlicht er nun seine raren Flohmarkt- und Online-Auktionshaus-Funde. „Music with a Message“ ist der erste Sampler seiner Art, wie Stöppel überrascht feststellte. „Christlicher Rock war erstaunlicherweise sehr funky. Dieses in Vergessenheit geratene Sub-Genre hat mich gereizt. Vor allem, da es so viel zu entdecken gab, die Szene war erstaunlich produktiv.“

Ein Song wie „Contergan, Hunger und andere Kreuze“ von The Golems aus Wien traf mit seinem anklagenden Ton durchaus den sozialkritischen Zeitgeist der späten Sechziger. „In der Xian-Szene ging es nicht um musikalische Perfektion“, sagt Stöppel. „Oft entstammen die Stücke christlich und politisch geprägten Musicals, Messen oder Konzeptalben. Das war vergleichbar mit den Politrock-Bands der Siebziger.“

Als Blaupause für Sacro-Pop bezeichnet Stöppel das Musical „Menschensohn“, produziert von Peter Janssens, dem Paten der Bewegung. Janssens verantwortete Dutzende Aufnahmesessions und konnte dafür auch bekannte Jazzmusiker gewinnen. So ist auf dem von funky Beats geprägten „Jerusalem, Urbild unser Städte“ auch der Flötist Klaus Dapper zu hören, der auch in der Krautrock-Band Bröselmaschine mit dem Gitarrenbuch-Herausgeber und Hippie-Ultra Peter Bursch spielte.

Niemand auf „Music with a Message“ hat jedoch eine ähnliche Kredibilität aufzuweisen wie der Brite Alan Spenner. Spenner stand als Bassist mit Joe Cocker in Woodstock auf der Bühne und wirkte auch beim Hippie-Rock-Musical „Jesus Christ Superstar“ mit. 1979 lieh Spenner seinen hüpfenden E-Bass Heike Tittmanns „Wie ein Baum“. Vom Groove her könnte der Song glatt als Nummer der Mitsiebziger-Disco-Dandies Bee Gees durchgehen. Wenn Tittmann über einen slicken Disco-Grooves lasziv „Ich will Früchte bringen, ganz nach deinem Plan / Herr, ich bin bereit, fang an“ säuselt, kriegen zölibatäre Katholiken unter ihren Rollkragenpullis Schweißausbrüche. Und Jesus wippt mit der Dornenkrone. Jan Paersch