: Keine Arschlochkinder
Konzert Die YouTube-Stars Lochis spielten vor ausverkauftem Haus in Berlin. Es gibt fetten Sound, knalliges Licht, kunstigen Nebel und lustigen Jungsquatsch, der Jungs natürlich, aber auch Mädchen gefällt, pubertäres Zeug mit bodenständiger Note
Nur nebenbei, Papierkram ist bei den jüngsten digitalverjunkten Mediennutzern mitnichten verpönt. Die Mitglieder der zweiten Generation YouTube-Fans haben reichlich selbstbemalte Pappschilder zum Konzert ihrer Helden mitgebracht: die 17-jährigen Zwillingsbrüder Heiko und Roman Lochmann, die den vielleicht uncoolsten, aber lustigsten Künstlernamen in der deutschen Popszene tragen – Die Lochis.
Als sie kurz vor sieben die Bühne in der ausverkauften Columbiahalle betreten, schnellen nicht nur die Pappen in die Höhe, sondern auch zahlreiche Selfiestangen mit Handys. Viele Fans sind noch sehr jung, keine zehn Jahre alt, weshalb auch etliche Eltern mitmussten. Manche stehen mit ihren Kindern mitten im Pulk, anderen harren erwartungsunfroh der Dinge hinten am Tresen, der diesmal herrlich leer ist, im Gegensatz zum Brezelstand. Ringsum hüpfen kleine Kinder aufgeregt durch die Menge. Für viele sicher ihr erstes Konzert.
Nach dem Vorsänger, auch irgendein bekannter YouTuber, der sich vor Aufregung ab und zu verspielt, eröffnen die Lochis mit Karacho ihre Show, unterstützt von einer Band. Fetter Sound, knalliges Licht, kunstiger Nebel. Die Lochis sehen in ihren weißen Klamotten aus wie Arzthelfer, wirken aber nicht halb so beruhigend. „Wir sind wieder mal im Game“, singen sie und anschließend quasseln sie drauflos, als wären sie auf Sendung. Was sie ja auch sind. „Dauerhaft online“ hieß ihr erster Charthit 2013, als der Beginn ihrer im Kinderzimmer selbst begonnen Internetkarriere schon zwei Jahre zurücklag.
Heute sind die Lochis mit über zwei Millionen Abonnenten ihres YouTube-Kanals Popstars, die schon einen eigenen Kinofilm machten und zuletzt das Album „#Zwilling“, das natürlich auf eins ging. Ihre Fans sind Jungs und Mädchen gleichermaßen (jedenfalls scheint es so im Konzert), was wohl daran liegt, dass sie nicht auf eine Zielgruppe hin gecastet wurden, sondern zwei normale hessische Jungs sind, die im Internet Jungsquatsch machen, der auch Mädchen gefällt. Selbst ausgedachte und gedrehte Videos, zum Beispiel Parodien auf Justin-Bieber-Songs, bei denen aus „Sorry“ ein Veralberungssong von Angebern mit Ferrari wird. Pubertäres Zeug mit bodenständiger Note.
Was für ein Unterschied zum Großkotzauftritt von Justin Bieber neulich in Berlin, bei dem der Narziss, angeödet vom eigenen Ruhm, die TeenagerInnen in teuersten Markenklamotten mit einem gelangweilten Auftritt abspeiste. Die Lochis machen zwar auch alles professionell, ziehen aber keine Show für Arschlochkinder ab, spielen nichts vor. Sie holen ihre Oma und Cousine auf die Bühne und freuen sich echt, dass die ihnen eine Golden Kamera für irgendwas überreichen. Um Familienbande geht’s auch, als sie „Bruder geht vor Luder“ singen. Weil sie es genau so meinen, sind sie eine Art Brudergang auch für Einzelkinder. Alles hübsch auf Teenagerniveau, logo, warum auch nicht, mit intellektuellem Teeniepop stürmst du keine Bühnen.
Es sei schon in der Grundschule ihr allergrößter Traum gewesen, Musik zu machen und mal auf so einer Bühne zu stehen, ihre Lehrerin könne es bezeugen, erregen sie sich selbst, als sie den Song „Traum“ ankündigen. Dann poprappen sie: „Leute sagen dies, Leute sagen das / Doch für meine Träume ist bei ihnen kein Platz / Alle ihre Träume sind bei ihnen schon geplatzt.“ Es rieselt Glitter. Ein paar Kinder, die auf dem Tresen sitzend zuschauen, schunkeln, ein paar Väter daneben halten sich am Bier fest, eine einzeln stehende Mutti guckt gedankenversunken nach vorn und hört die Lochis weiter singen: „Sobald du etwas wagst, hält man dich für verrückt / Es ist niemals zu spät für den ersten Schritt.“ Aus den Jungs wird noch mal was.
Gunnar Leue
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen