: Frauenopfer in satten Farben
FilmerbeVeit Harlans düster-surreales Melodram „Opfergang“ ist am Freitag im Zeughauskino in digital restaurierter Fassung zu entdecken
Wenn man nicht wüsste, von wann dieser Spielfilm ist, könnte man ihn fast unbefangen sehen. Und wenn man nicht wüsste, von wem er gedreht wurde. „Opfergang“ erzählt von der schicksalhaften Begegnung dreier Menschen: dem reisefreudigen Hamburger Kaufmann Albrecht (Carl Raddatz), seiner ihm per familiären Arrangement zugedachten, leicht steifen Ehefrau Octavia (die Eltern schwärmen für Antikes ebenso wie für Nietzsche) und der Nachbarin Aels, einer Skandinavierin, die viel Temperament hat – und mehr Gefühle für Albrecht, als ihr von Rechts wegen zustehen. Zu sehen ist diese Dreiecksgeschichte in sattem Agfacolor.
So weit, so harmlos. Allerdings stammt dieser Film aus dem Jahr 1944, Regie führte Veit Harlan. Der als „Spielleiter“ des antisemitischen NS-Hetzstreifens „Jud Süß“ bekannte Regisseur brachte es mit seiner frühen Anbiederung an das NS-Regime zu einem der führenden Filmemacher des Nationalsozialismus.
„Opfergang“ fällt hingegen aus dem Rahmen der NS-Propaganda, Goebbels soll ihn zudem nicht geschätzt haben. Der Film hat kein eindeutiges politisches Anliegen – auch wenn die Geschichte einer Vorlage von Rudolf G. Binding folgt, einem Schriftsteller, der sich schon früh zu Hitler bekannt hatte und im Nationalsozialismus sehr beliebt war. Zu dessen Weltbild passt am ehesten die Todessehnsucht, mit der die Liebe von Aels und Albrecht aufgeladen ist. Denn Aels ist unheilbar krank. Untergang droht auch diesem Paar.
Trotz seines mehr als heiklen Hintergrunds wurde „Opfergang“ inzwischen digital restauriert. Die farbenprächtige Neufassung wurde im vergangenen September bei den Filmfestspielen von Venedig in der Retrospektive vorgestellt und ist mittlerweile in Deutschland auf DVD erschienen – im Booklet bekennt sich der Regisseur Dominik Graf ausdrücklich zu diesem Film. Am Freitag kann man „Opfergang“ jetzt im Zeughauskino auf der Kinoleinwand erleben.
Wo er durchaus hingehört. Tatsächlich hat „Opfergang“ als Melodram unbestreitbare Qualitäten, die es – obszöne Ironie – in die Nähe von Kollegen wie dem 1937 vor den Nazis aus Deutschland geflohenen Detlef Sierck, später Douglas Sirk, rücken. Wie Albrecht (Carl Raddatz) sich einerseits seiner Frau Octavia (Irene von Meyendorff) verpflichtet fühlt, wie diese auf einem bürgerlichen Lebensstil beharrt, der nicht unbedingt dem von Albrecht entgegenkommt, wie Aels (Kristina Söderbaum) selbstbewusst an ihrer Liebe festhält, obwohl ihr die „Unschicklichkeit“ der Liaison mit einem verheirateten Mann bewusst ist – und wie Octavia letztlich hinnimmt, dass ihr Mann libidinös hin und her gerissen ist, wofür sie sogar aus freien Stücken ein Opfer auf sich nimmt: Das ist großartig inszeniert und gerät am Schluss mit einer wilden Überblendung eines „Ferndialogs“ von Aels und Albrecht überraschend surreal.
Man mag das Frauenbild des Films für reaktionär halten, sind Octavia und Aels doch in erster Linie auf Albrecht bezogen. Andererseits sind sie die eindeutig stärkeren Figuren. Albrechts Männlichkeit wirkt dagegen passiv – auch dies ein reizvoller Aspekt. Dennoch: ein vergiftetes Vergnügen. Tim Caspar Boehme
6. Januar, 18.30 Uhr, Zeughauskino
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen