Keiner weiß, wo er hingehört

Queer Mit Jake Witzenfelds bewegendem Dokumentarfilm „Oriented“ setzt die Akademie der Künste die Ver-messung der „Un­certain States“ fort

„Oriented“, Filmstill Foto: Jake Witzenfeld

von Ingo Arend

„Ich war eine Frau, mich interessierte westliche Musik und ich war lesbisch.“ Enana al-Asser hat keine große Mühe, zu erklären, warum sie sich in ihrer Heimat Syrien fremd fühlte. Nun lebt die junge Frau, die in Damaskus englische Literatur studierte, in Berlin. Und ist begeistert.

Sie konnte nicht glauben, wie viele Gleichgesinnte sie bei ihrem ersten Besuch einer Lesbenbar versammelt sah. Trotzdem bleibe das Gefühl, als Flüchtling nicht wirklich gewollt zu sein, eines Tages vielleicht wieder „nach Hause“ geschickt zu werden. „Jetzt bin ich eine doppelte Außenseiterin“, bilanziert die 21-jährige Musikerin ihren seltsamen Zwischenzustand.

Die Aufklärung „neu erfunden“ hat die Diskussion, in der Enana am Dienstagabend in der Akademie der Künste ihre Situation erklärte, vielleicht nicht unbedingt. Darauf wollte Johannes Odenthal hinaus, Programmdirektor der Akademie, als er das „Embodiment“, die Verleiblichung des kopflastigen Zeitalters anmahnte.

Aber sie hat klar gemacht, dass die „Uncertain States“, die die gleichnamige Ausstellung am Hanseatenweg aufruft, nicht nur kollektive Krisenmomente anvisiert, sondern auch ein grundlegendes Gefühl persönlicher Orientierungsprobleme und Identitätssuche.

Insofern ist „Oriented“, der Titel des letzten Films des britischen Filmemachers Jake Witzenfeld, eigentlich leicht irreführend, der am selben Abend zu sehen war. Denn der Streifen von 2015 beschreibt genau das Gegenteil. Was seine jungen Protagonisten Naeem Jiryes, Khader Abu-Seif und Fadi Daem verbindet, ist, dass sie schwul und palästinensischstämmig in Israel leben. Das macht sie zu irritierten Wanderern zwischen emotionalen, sexuellen und politischen Welten.

Über weite Strecken ist der Film, der den drei coolen Twentysomethings über einen Zeitraum von 15 Monaten durch Tel Aviv folgt, ein klassischer Dokumentarfilm. Witzenfeld, selbst heterosexueller Jude, fängt wunderbar spielerisch und klischeefrei Momente im Leben dreier junger Menschen ein, die der Welt und sich selbst offen und frei gegenüber zu treten versuchen.

Wenn der ungeoutete Pfleger Naeem („Ich bin Palästinenser, Vegetarier, Atheist und Feminist“) seinen Eltern zu erklären versucht, warum er nicht mehr in ihrem arabischen Dorf wohnen will. Wenn der redselige, stets flirtbereite LGBT-Blogger und Werbefuzzi Khader beim Frühstück mit seinem jüdischen Lebensgefährten David zu erklären versucht, wie sie ihre „Andersheit“ verbindet. Wenn die drei beim ausgelassenen Konzertbesuch in Amman das Gefühl haben, „arabisch leben“ zu können. Während in ihrem geliebten Szene- und Freiheitsparadies Tel Aviv eben doch eine Trennlinie zwischen Arabern und Juden verläuft.

Interessant wird „Oriented“ deshalb, weil der Film zeigt, wie sich die mäandernde Suche der drei nach einem Gefühl für Zuhause und dem ständigen Slalom zwischen den Identitäten produktiv wendet. Sie gründen das Film-Kollektiv „Qambuta“, stellen ihre fantasievollen Low-Budget-Videos auf YouTube und beobachten die Reaktionen.

In einem Video sitzen sie mit Freunden auf einem roten Sofa, dahinter raucht eine Frau lasziv durch ihren Schleier. In einem anderen treten sie als mondäne Drag-Queens auf. In solchen Bildern scheint eine neue Generation israelischer Palästinenser sich eine Identität jenseits aller Rollenzuschreibungen zurechtzuschneidern: „Es ist Zeit, dass wir aus unserer Nationalität heraustreten“, sagt Khader.

„Wir sind nicht bloß Rebellen, wir wollen etwas ändern“, doziert er einmal vor der Gruppe. Im realen Leben bleiben sie freilich immer wieder in ihren Widersprüchen stecken. „Es ist eine Scheißwelt. Keiner weiß, wo er hingehört“, versucht Nagham, die robuste Seelenfreundin des Trios, dem politischen Fadi die Zweifel vor dem Dating mit Benyamin zu nehmen – einem israelischen Juden. „Ich habe mich in einen Zionisten verknallt. Ich liebe den Feind“, erklärt der ihr mit Tränen in den Augen.

Es sind diese anrührenden Momente, wenn sie sich ihre Fremdheit, Angst und Verwirrung eingestehen, in denen diese sensiblen Helden der „Uncertainty“ eine Vorform der Einheit gegen die neue Normierung von rechts leben, die sich Podiumsgast Rosa von Praunheim an dem Abend wünschte.

Welche Visionen der Filmemacher habe, um den „Uncertain State“ zu überwinden, wollte Programmchef Odenthal wissen. Praunheim hat mit „Survival in Neukölln“ seinen neuen Film beendet, in dem es um die homosexuelle Community von Arabern und Türken in einem Berliner Bezirk geht, der oft genug als Synonym für den Ausnahmezustand durchgeht. „Schreien“, antwortete der Ausnahmefilmer sofort.