Schröder bleibt noch

VON LUKAS WALLRAFF

Auch nach ihrem Misserfolg beim letzten Teil der Bundestagswahl in Dresden am Sonntag setzt die Führung der SPD ihr taktisches Verwirrspiel fort. Gestern Nachmittag erklärte Kanzler Gerhard Schröder zunächst, er werde der Bildung einer stabilen Regierung nicht im Wege stehen. Das klang nach Abschied, nach freiwilligem Verzicht auf die Kanzlerschaft. „Es geht nicht um meinen Anspruch, schon gar nicht um meine Person“, sagte Schröder vor der Präsidiumssitzung der SPD. Wie es weitergehe, müsse die Partei entscheiden, er werde „jede Entscheidung akzeptieren“. Erstmals schien Schröder bereit, auf die Forderung der Union einzugehen, dass die SPD vor dem Beginn von Verhandlungen über eine große Koalition den Machtanspruch ihrer Kanzlerkandidatin Angela Merkel anerkennen müsse, der sich aus den Mehrheitsverhältnissen im Bundestag ergibt.

Am Abend jedoch, nach der Präsidiumssitzung, erklärte Parteichef Franz Müntefering ungerührt, eine diesbezügliche Festlegung in der wichtigsten Personalfrage werde es nicht geben. Das klang dann wieder nach Durchhaltepolitik. Die SPD gehe in die nächsten Sondierungsgespräche mit der Union am Mittwoch „mit dem Anspruch, möglichst viel durchzusetzen von unserem Programm“ und „dafür zu sorgen, dass Gerhard Schröder Bundeskanzler bleibt“, betonte Müntefering. Vor dem Einstieg in formelle Koalitionsverhandlungen werde es keine Personalentscheidungen geben, „so wie andere sich das vorstellen“. Zur Begründung wiederholte Müntefering zum x-ten Mal seine Rechnung, dass die SPD „die stärkste Partei“ sei. CDU und CSU hätten jeweils weniger Abgeordnete – wenn man das vergleiche, „dann sind wir die Größten, was will man dagegen sagen?“

Das Ergebnis in Dresden hatte offenbar nur zwischenzeitlich für Ernüchterung in der SPD gesorgt. „Daraus können wir nichts ziehen“, kommentierte Fraktionsvize Gernot Erler gegenüber der taz das SPD-Abschneiden an der Elbe.

Die Union gewann nicht nur das Direktmandat im Stimmkreis Dresden I, sie konnte auch ihren Vorsprung bei der Sitzverteilung im Bundestag auf 226 zu 222 gegenüber den Sozialdemokraten ausbauen.

Führende Politiker der Union werteten das Ergebnis einhellig als Bestätigung des Regierungsanspruchs ihrer Kanzlerkandidatin Angela Merkel. Sie setze nun „auf die vernünftigen Kräfte in der SPD“, erklärte die CDU-Chefin. Der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) stieß ins selbe Horn. Wenn der Partner die „erprobten Regeln“ nicht einhalte, dann habe eine Koalition keinen Sinn, sagte er mit Blick auf die SPD. Daher müsse die Frage nach der Besetzung des Kanzleramts die erste und nicht die letzte Frage bei Koalitionsverhandlungen sein.

Auch Müntefering gab sich nach dem Misserfolg in Dresden zunächst weitaus bescheidener als vorher. Aus der klaren Ansage, Schröder müsse Kanzler bleiben, war am Sonntagabend ein nur noch zaghaft vorgetragener Wunsch geworden. „Wir sind dafür, dass Gerhard Schröder Kanzler ist“, erklärte Müntefering, „aber es wird in diesen Verhandlungen über die Gesamtkonstellation zu sprechen sein.“ Auf die Frage, wie sicher er sei, dass Schröder Regierungschef bleibe, sagte er: „Das ist im Moment ungeklärt.“

So unklar das konkrete weitere Vorgehen der SPD in Bezug auf Schröders Machtanspruch gestern auch war: Auf keinen Fall sollte man erwarten, dass die SPD Merkels Führungsanspruch einfach akzeptiere, betonte Fraktionsvize Erler. Merkel werde in weiten Teilen der SPD nach wie vor „als Vertreterin eines rigiden neoliberalen Kurses abgelehnt“, sagte der Parteilinke. „Die Aussichten, dass ein SPD-Parteitag einer Koalition zustimmt, in der Frau Merkel die Richtlinien der Politik bestimmt, sind relativ begrenzt.“ Es wird also munter weitergepokert.