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Archiv-Artikel

LBBW: neuer Zoff

Der Stuttgarter Gemeinderat hat mit grünem Segen und gegen den Willen von Kämmerer Michael Föll (CDU) einen Beschluss gefasst, der die Stadtkasse 611 Millionen Euro kosten könnte – zugunsten der Landesbank. Jetzt bahnt sich neben S 21 ein weiterer Großkonflikt an

von Hermann G. Abmayr

Es geht um eine weitreichende Finanzspritze der Landeshauptstadt zugunsten der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), um 611 Millionen Euro. Diese immense Summe ist Teil einer stillen Einlage, mit der Stuttgart seit über zehn Jahren an der LBBW beteiligt ist, der die Staatsanwaltschaft seit Dienstag eine Falschdarstellung der Bilanzen vorwirft. Da sich die LBBW inzwischen krisenfester machen muss, ist sie gezwungen, ihr Stammkapital zu erhöhen. Dabei soll neben dem Land und den Sparkassen auch die Stadt helfen. Mit den Stimmen der Grünen hat die Mehrheit im Stadtrat letzte Woche für eine Umwandlung dieser Einlage in Stammkapital gestimmt. Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) hatte sich genauso dafür ausgesprochen wie sein designierter grüner Nachfolger Fritz Kuhn und Ministerpräsident Winfried Kretschmann.

Finanzbürgermeister Michael Föll hat dagegen auf das Problem hingewiesen: Während die stille Einlage der Stadt nach zehn Jahren gekündigt werden kann, ist der Transfer ins Stammkapital nicht mehr rückgängig zu machen. Die Stadt wäre geknebelt. Fölls wichtigste Bündnispartner sind jetzt ausgerechnet die fünf Stadträte der Fraktion SÖS/Die Linke. Mit einem Bürgerbegehren wollen sie den Deal in letzter Minute verhindern. Kontext sprach mit den Initiatoren Hannes Rockenbauch und Gangolf Stocker.

In der Protesthauptstadt Stuttgart gibt es neben S 21 ein neues Thema. Die Fraktion SÖS/Die Linke will einen Beschluss des Gemeinderats kippen und die Stadt damit vor dem Verlust von vielen hundert Millionen Euro bewahren. Hat ein Bürgerbegehren noch eine Chance?

Stocker: Wir müssen jetzt innerhalb von sechs Wochen, also bis Anfang Januar, 20.000 Unterschriften sammeln. Wenn wir das erreichen, muss der Gemeinderat einen Bürgerentscheid durchführen. Früher hätten wir uns das nie zugetraut. Aber nach den Erfahrungen im Kampf gegen Stuttgart 21, für eigene Stadtwerke und nach den Erfahrungen mit dem OB-Wahlkampf, bei dem zwölf Initiativen Hannes Rockenbauch unterstützt haben, sind wir optimistisch. Es gibt inzwischen eine andere Kultur in der Stadt. Immer mehr Bürger wollen es nicht mehr zulassen, dass Oberbürgermeister Schuster grundlegende Entscheidungen putschartig durchpeitscht. Und das auch noch kurz vor dem Ende seiner Amtszeit.

Doch Wolfgang Schuster könnte den Bürgern wieder einen Strich durch die Rechnung machen. Wie beim Bürgerbegehren zu Stuttgart 21 im Jahr 2007.

Rockenbauch: Ein Bürgerbegehren hat laut Gemeindeordnung keine aufschiebende Wirkung. Doch es wäre ein Skandal, wenn Schuster jetzt nicht das Ergebnis abwarten würde. Die Kommentare zur Gemeindeordnung raten den Bürgermeistern, Beschlüsse nicht zu vollziehen, gegen die ein Bürgerbegehren läuft.

Stocker: Obwohl der OB 2007 wusste, dass es ein Bürgerbegehren gibt, ist er in die Villa Reitzenstein in die Staatskanzlei gefahren – das war noch zu Zeiten von Ministerpräsident Stefan Mappus – und hat die S-21-Verträge unterschrieben. Auch die Grünen haben dies damals lautstark kritisiert. Beim Thema LBBW haben die Grünen anders abgestimmt. Sie lehnten wie die Mehrheit des Gemeinderats einen Bürgerentscheid ab.

Doch im Koalitionsvertrag von SPD und Grünen steht, man wolle eine Politik der Gehörtwerdens einführen.

Stocker: Von wegen. Die grüne Gemeinderätin Niombo Lomba – sie ist persönliche Mitarbeiterin der Staatssekretärin für Bürgerbeteiligung und Zivilgesellschaft, Gisela Erler, – hat in schönster CDU-Manier argumentiert, man könne jetzt keinen Bürgerentscheid machen. Man könne in der Kürze der Zeit die Bürger nicht entsprechend informieren, dass sie dann fachgerecht entscheiden können.

Rockenbauch: Frau Lomba argumentierte zudem, ein Bürgerentscheid habe so hohe Zustimmungsquoren zu überspringen, dass es keine Chance gibt, ihn zu gewinnen. Doch sie sitzt selbst in der Staatskanzlei. Hätte die Landesregierung unter Winfried Kretschmann ihr Wahlversprechen umgesetzt, wäre die Gemeindeordnung schon längst geändert und das Quorum gesenkt. Eine einfache Mehrheit im Landtag genügt.

Anfang des Jahres erklärte die Europäische Bankaufsicht, dass künftig nur noch solche Finanzanteile zum Kernkapital zählen, die an möglichen Verlusten beteiligt sind. Also nicht die stillen LBBW-Einlagen der Stadt Stuttgart in Höhe von knapp einer Milliarde Euro, denn die stehen der Bank nicht dauerhaft zur Verfügung. Die EU forderte die Eigentümer der Banken deshalb auf, ihre stillen Einlagen in haftendes Eigenkapital umzuwandeln. Wie viel Geld will der Gemeinderat jetzt umwandeln?

Rockenbauch: Die Mehrheit des Gemeinderats will der Landesbank ab 2013 in zwei Raten 611 Millionen Euro als Kernkapital zur Verfügung stellen. Diese Summe ist bisher nur eine stille Beteiligung – sie stammt aus den Jahren 1999 und 2001 – und kann deshalb nach zehn Jahren gekündigt werden und in den Stadthaushalt zurückfließen. Als hartes Stammkapital ist das Geld auf Dauer gebunden und nicht mehr kündbar. Und wann es je zu einer nennenswerten Dividende kommen wird, ist angesichts der aktuellen Finanzkrise und der Politik der LBBW, die nächstes Jahr in eine AG umgewandelt werden soll, völlig offen. Außerdem verzichtet die Stadt mit der Umwandlung in Kernkapital zusätzlich auf Zinsnachzahlungen aus den Jahren 2009 bis 2011 in Höhe von zig Millionen Euro. Denn die werden erst fällig, wenn die LBBW wieder schwarze Zahlen schreibt.

CDU-Finanzbürgermeister Michael Föll argumentiert ähnlich wie die Fraktion SÖS/Die Linke. Er erwartet sinkende Steuereinnahmen und gleichzeitig wachsende Sozialausgaben. Er hat sich deshalb nicht nur gegen eine Umwandlung der stillen Reserven in Stammkapital ausgesprochen, sondern perspektivisch auch für deren Kündigung. Und er hat LBBW-Chef Hans-Jörg Vetter nachgewiesen, dass er die Gemeinderäte angelogen hat. Vetter hatte behauptet, eine Kündigung der stillen Reserve sei unmöglich.

Rockenbauch: Föll ist der Hüter der Finanzen. Keiner kennt ihre Entwicklung so gut wie er. Und er hat schlechte Erfahrungen mit der LBBW gemacht. Deren Entwicklung bleibt weit hinter dem zurück, was sie im Krisenjahr 2009 versprochen hatte. So liegt die Gewinnausschüttung ab 2012 jährlich um etwa 40 Millionen unter dem Plansoll. Weil der Finanzbürgermeister bei den Haushaltsberatungen 2011 zunächst mit den in Aussicht gestellten LBBW-Millionen gerechnet hatte, musste er etliche Beschlüsse wieder kassieren, als bekannt wurde, dass das Geld nicht fließt. Außerdem hatte man uns 2009 versprochen, dass die temporäre Kapitalaufstockung in Höhe von 946 Millionen Euro durch die Stadt wieder in mehreren Tranchen zurückfließt. Doch jetzt sollen von dieser Beteiligung nur noch knapp 200 Millionen Euro übrig bleiben, die die LBBW ab 2014 der Stadt überweisen will. Die Stadt hätte aber Anspruch auf die gesamte Summe, weil die EU die Beteiligung sonst als staatliche Beihilfe gewertet und nicht genehmigt hätte. Das Gleiche gilt für das Land und die Sparkassen, also die gesamten fünf Milliarden Euro, die 2009 geflossen sind.

Könnte das Geschäft noch platzen?

Rockenbauch: Das kann ich nicht beurteilen. Die LBBW behauptet, die EU würde den Milliardentrick akzeptieren. Doch ich weiß nicht, ob eine unabhängige Stelle diese Auskunft ebenso erhalten hat. Ohne die fünf Steuermilliarden ist das Geschäftsmodell der Bank jedenfalls nicht mehr darstellbar. Das geht auf den Finanzcrash 2009 zurück. Die LBBW hatte sich so verzockt, dass sie eine Finanzspritze von fünf Milliarden Euro verlangt hatte, um nicht unter dem Rettungsschirm zu landen. Ihre Eigentümer, das Land Baden-Württemberg – damals unter Ministerpräsident Stefan Mappus –, die Sparkassen in Baden-Württemberg und die Stadt Stuttgart haben sich damals erpressen lassen. Unsere Fraktion und die Grünen haben den Deal im Gemeinderat abgelehnt.

Die Stadt Stuttgart hält an der größten Landesbank der Republik, der LBBW, einen Anteil von knapp 20 Prozent. Hat die Bank noch eine klassische Sparkassenfunktion, wie es der Oberbürgermeister immer wieder sagt?

Stocker: Die Landesbank ist zwar noch eine öffentlich-rechtliche Bank, aber sie benimmt sich nicht so. Sie agiert in unterschiedlichen Geschäftsmodellen und über Zweckgesellschaften in der ganzen Welt. Es gibt dubiose Geschäfte im Immobilienbereich und an anderen Stellen. Die Staatsanwaltschaft hatte nicht umsonst drei Jahre lang ermittelt. Die LBBW war eine der wenigen, die noch bis zum Schluss in den USA gezockt haben, als andere schon ausgestiegen sind. Die LBBW spekuliert mit Nahrungsmitteln. Und die BW-Bank, eine Tochtergesellschaft, hat dem früheren Bundespräsidenten Christian Wulff einen Vorzugskredit zur Verfügung gestellt. Das hat alles mit einer klassischen Sparkasse nichts zu tun. Außerdem hat die LBBW etliche Cross-Border-Leasing-Geschäfte eingefädelt und seit vielen Jahren Lobbyarbeit für Stuttgart 21 betrieben, denn dabei winkt ein Milliardengeschäft. Zuletzt hat die Bank rund 21.500 Wohnungen, in denen Tausende von Familien leben, einem Spekulanten, der Immobilienfirma Patrizia und ihrem Konsortium, zum Fraß vorgeworfen.

Rockenbauch: Mit 1,2 Milliarden Euro war dies einer der größten Immobiliendeals der vergangenen Jahre. Und die Stadt konnte ihn nicht verhindern, obwohl sie mit Partnern die Wohnungen selbst hat kaufen wollen. Da sage noch einer, man müsse an der LBBW beteiligt sein, um die Bankpolitik im Sinne der Bürger mitbestimmen zu können. Auch in dieser Frage hat die Landesregierung übrigens nicht die betroffenen Bürger gefragt. Finanzminister Nils Schmid (SPD) und Klaus-Peter Murawski, Kretschmanns rechte Hand im Staatsministerium, haben dem Verkauf der Wohnungen an eine Heuschrecke im Aufsichtsrat zugestimmt. Es war übrigens auch Murawski, der nach Pressemeldungen die Grünen im Stuttgarter Gemeinderat unter Druck gesetzt hat, den LBBW-Deal zu unterstützen.

Stocker: Hannes Rockenbauch hat schon 2005 den Ausstieg aus der Landesbank gefordert, weit vor der Finanzkrise. Und 2007 hat er den Antrag noch einmal gestellt. Immer vergeblich. Wir hätten damit viele Hunderte Millionen Euro gespart. Für Soziales, Schulen oder Kultur. Bei diesen Themen wird im Gemeinderat um jeden Euro gerungen. Genauso beim sozialen Wohnungsbau oder der sozialen Stadtentwicklung.

Man wirft ihnen auch vor, Arbeitsplätze bei der LBBW zu gefährden.

Rockenbauch: Die LBBW-Spitze hat doch mit ihrer desaströsen Politik schon jetzt 2.500 Jobs auf dem Gewissen.

Stocker: Das Arbeitsplatz-Argument ist ein Totschlagargument wie bei Stuttgart 21. Wenn wir eine Stadtsparkasse gründen, das ist unser Ziel, dann brauchen wir auch Angestellte. So könnte man zum Beispiel aus der Baden-Württembergischen Bank, einer Tochter der LBBW, die heute schon die Normalkunden betreut, eine klassische Stadtsparkasse machen. Wir wollen jedenfalls eine öffentlich-rechtliche Bank, die ethisch korrekt wirtschaftet, allen Menschen Zugang zu Bankdienstleistungen gewährt und nachhaltig in unsere Stadt investiert. Wir wollen, dass das Bankgeschäft wieder der Mehrheit der Menschen dient.