Gewehre zu Marionetten

Als Teil der RuhrTriennale dauert die Fidena diesmal nur zwei Tage. Annette Dabs featured deshalb ein Figurentheater-Projekt, das ehemalige Kindersoldaten im Kongo zu Künstlern machen will

AUS BOCHUMPETER ORTMANN

Tiefe afrikanische Dunkelheit. „Schlange lass mich vorbei, ich muss meinem Kind Milch geben“ singt Marnie Claudine Mambu aus dem Kongo immer fordernder. In ihre Stimme mischen sich Tränen, noch beim Applaus rollen sie ihr das Gesicht herunter. So intensiv endet „Le Cadeau“ (Das Geschenk) in der Zeche 1 in Bochum, wo einst die renommierte Tanzkompagnie von Reinhild Hoffmann residierte und heute Essener Schauspielschüler proben. Jetzt ist hier die RuhrTriennale zu Gast. Jürgen Flimm hat dem Figurentheaterfestival Fidena, das wegen Geldmangels erst im nächsten Jahr wieder stattfinden kann, ein Zweitage-Programm spendiert. Festivalchefin Annette Dabs ergriff die Gelegenheit und featured ein wichtiges Figurentheater-Projekt in Afrika, das ehemalige Kindersoldaten zu Künstlern machen will. Seit etwa zwei Jahren reisen bereits verschiedene europäische Künstler regelmäßig nach Kinshasa, um dort das Kulturzentrum Espace Masolo zu unterstützen. Sie haben nun gemeinsam das Figurentheater-Stück über den Hund Pinky entwickelt, der aus seiner behüteten Heimat, wo es überall nach Käse riecht, im Karton ins chaotische Afrika verfrachtet wird.

„Vergessen sie alle Erwartungen an Theater“, so führt Annette Dabs in das szenische Labor ein. Die sechs Künstler aus Deutschland, Frankreich und dem Kongo haben die Handlung erst in Bochum entwickelt, reflektieren ihre Erfahrungen, die sie bei ihrer Arbeit mit den Kindern in Kinshasa gemacht haben. Dabei ist auch Hubert Mahela, Mitbegründer des Espace Masolo. Doch Pinky ist die Hauptfigur an vier Fäden, ein graues flusendes Kerlchen, ein richtiger Knuddelhund und ein Opfer des Internet. Denn sein Frauchen kommuniziert im Chatroom mit dem schwarzen Kontinent, schickt ihn als Geburtstagsgeschenk ihrem Internetfreund. Pinky scheint verloren. Das Hundefutter teilen sich die Einheimischen. Essen gibt es nicht. Bald ist Pinky krank wie sein Herrchen, der sich die Erzeugnisse europäischer Pharmakonzerne nicht leisten kann. Der Hund muss sich anpassen und wenn es auf den Müllbergen ist. Die szenische Intervention mit einfachsten Mitteln geht ans Herz und in den Kopf. Das Lachen schmerzt, wenn die französische Königin holpert: „Als wir noch die Kolonien hatten, liefen die Sozialsysteme wunderbar“.

Kongolesische Kindersoldaten, die demobilisiert wurden und heute ziel- und zukunftslos auf der Straße leben, durften nicht nach Deutschland reisen. „Sie haben überhaupt keine Papiere für ein Visum“, sagt Annette Dabs. Und wenn einer hier verschwunden wäre, sei das ganze Projekt in Kinshasa gefährdet gewesen. Also tauchen sie nur im Film „Und jetzt bin ich ein Künstler auf“ auf, der gestern während des Kolloquiums „Figurentheater mit Straßenkindern“ gezeigt wurde. Lachende braune Gesichter, denen man die Schrecken des Krieges nicht ansieht. Sie bauen ihre Marionetten aus Affenschädeln, Pappe und Styropor, verdienen mit ihrem künstlerischen Engagement auf der Straße Geld und sind dankbar für die professionelle Ausbildung. Der französische Puppenspieler Gilbert Meyer, Gründer und Leiter des wuseligen Théatre Tohu-Bohu, nutzt ein chinesisches Sprichwort zur Erklärung seiner Arbeit: Unterweise im Angeln, statt Fische zu verteilen.

Und dann legen die Kinder los mit ihren skurrilen Marionetten, die sie gegen Gewehre getauscht haben. Ihre Phantasie und technische Fingerfertigkeit sind bereits enorm. Sie träumen vom Ruhm und von einer sicheren Zukunft. Auch wenn sie, wie viele Theatergänger in Europa auch, erst einmal gedacht haben, Marionetten seien nur Spielzeug.