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Flucht ins Gewerbegebiet

Knaller Silvester in Berlin? Das mag Popmusiker Maximilian Hecker so gar nicht. Deshalb verbringt er den Jahreswechsel wieder allein – in einem Billighotel in Hennigsdorf. Natürlich auch der Kunst wegen

Ein Industriegebiet am Stadtrand – für Maximilian Hecker ist es der perfekte Rückzugsort an Silvester Foto: David Oliveira

von Gunnar Leue

Eigentlich sollte es dieses Silvester mal Peking sein für Maximilian Hecker. Ein Konzert bei einem Radiofestival sollte er spielen, weil die Globalisierung der westlichen Silvesterfeierei mittlerweile auch China (wo der Jahreswechsel eigentlich erst im Februar begangen wird) erreicht hat. Und weil sie in Asien Heckers melancholische Popsongs besonders mögen. Es klappte dann doch nicht, nun wird es eben wieder Hennigsdorf. Wieder das Ibis-Budget-Hotel im Gewerbegebiet zwischen Total-Tankstelle und Hellweg-Baumarkt, wieder die „Gefängniszelle“, wie der Musiker sagt, der von ungemütlichen Hotelzimmern eigentlich genug haben müsste, weil er die von seinen Reisen durch die halbe Welt zur Genüge kennt.

Trotzdem flieht der 39-jährige Musiker seit fünf Jahren immer zu Silvester aus Berlin-Mitte, wo er wohnt, an diesen seltsamen Ort, um den Jahreswechsel dort völlig allein zu verbringen. Es ist nicht so, dass Hecker ein Silvestermuffel wäre. „Ich habe die Stimmung an dem Tag immer gemocht. Dieses Geböller, das schon nachmittags beginnt und was von Ruhe vorm Sturm hat. In der Großstadt empfinde ich das Geknalle aber bedrohlich.“ Als er vor Jahren mit Freunden feierte und diese mit Böllern Mutspielchen machten, sei das auch der Auslöser für seinen Ausstieg aus Silvester in Berlin gewesen. Zumal er sich vom Datum nicht mehr Feierlaune diktieren lassen wollte. „Silvester herrscht ja wie beim Karneval oder Oktoberfest dieser Gruppendruck, dass sich alle besaufen. Wenn ich das nicht mitgemacht habe, war ich sowieso außen vor. Also habe ich mir gedacht, fahre ich einfach mal raus aus der Stadt in ein Billighotel.“ Die mag er nämlich.

Dass Hennigsdorf im nordwestlichen Speckgürtel zum Ausweichort wurde, war dann reiner Zufall. Die Suchkriterien Stadtrand und Ein-Stern-Hotel führten direkt zur Endstation der S25. „Und auch noch ein Industriegebiet, ein perfekter Rückzugsort, den ich mit niemandem teilen muss, weil er so unbeliebt ist.“ Hecker war nicht nur begeistert von der Abgeschiedenheit, sondern auch von seiner leicht pubertären Rebellion als Einzelgänger, der sich gegen die Masse stellt. Richtige Euphorie über sein exklusives Verhalten habe er verspürt. „Es ist eine Art diebische Freude, als vermeintlich Einziger auf der Welt an diesem Tag so etwas Unsoziales und irgendwie Märtyrerhaftes zu machen, sich der Isolation auszusetzen, ohne Optionen.“

Maximilian Hecker

In Heidenheim wurde er geboren, zog 1999 nach Berlin für eine Krankenpflegerausbildung. Nebenher machte er in der Gegend um den Hackeschen Markt Straßenmusik. Bald darauf musizierte er mit Almut Klotz und Jim Avignon im Trio Maxi unter Menschen.

2001 erschien auf dem Indie-Label Kitty-yo sein Debütalbum „Infinite Love Songs“, das international für Beachtung sorgte.

2003 schickte ihn das Goethe-Institut zusammen mit Barbara Morgenstern auf sechsmonatige Welttournee. Seine melancholische Popmusik ist besonders in Asien beliebt. (gl)

Diese Nacht als besonderen Moment völlig zwanglos nur für sich selbst zu zelebrieren – „in meiner kleinen Zelle, wo ich mich gebärden kann, wie ich bin“ – hat natürlich auch einen künstlerisch wertvollen Aspekt: Man kann das Gefühlte schön in Musik und Filme packen. Zum Beispiel in den Song „Hennigsdorf“. Auch drei Videos, hübsch unscharf und verwackelt, hat Hecker bereits gemacht. Man sieht ihn durch menschenleere, dunkle Tristesse laufen, atemlos durch die Nacht im Gewerbepark. Zarter Schmelz kommt aus Heckers sphärischem Gesang, sein digital verzerrtes Gesicht verschwindet am Ende wie in einem Loch. Als würde die Verbindung zur Zivilisation abreißen.

Einmal sei ein Polizeiwagen in der Nähe des Gewerbeparks langsam neben ihn gefahren, erzählt er. Die Beamten wollten wissen, was es denn hier zu filmen gebe. Gute Frage, geradezu auf den Punkt, wie Hecker fand. Ansonsten kam er mit Einheimischen nie ins Gespräch. Mit anderen Hotelgästen übrigens auch nicht. „Die paar Leute, die noch da waren, haben wohl nur ein billiges Hotel gesucht, um von dort zum Feiern nach Berlin reinzufahren. Aber ich habe auch nie darauf geachtet, ich bin ja eh nur in meinem Zimmer.“

In diesem Standardzimmer mit Duschkabine hält er sich auch schon mal außerhalb von Silvester auf, für ein „reinigendes Bad“ nach beendeten Studioaufnahmen oder nach einer Asientournee. Den Song „Hennigsdorf“ zählt der Musiker im Übrigen auch zu seinen wichtigsten Liedern, weil er zugleich wahnsinnig traurig und schön sei. „Ich verbinde ja gern Kontraste. Wenn eine schöne Melodie auf einen Text trifft, der von sozialem Selbstmord handelt, ist das für mich Romantik.“ Keine Romantik ist für ihn dagegen, auf der Gitarre zu klampfen in seiner Zelle, weshalb er das auch nicht am Silvesterabend tut. Eher geht er schon mal um zehn ins Bett.

„Es ist eine Art diebische Freude, sich der Isolation auszusetzen, ohne Optionen“

Maximilian Hecker

Seine Freunde sorgen sich zuweilen ein bisschen ob des Hennigsdorf-Trips und laden ihn immer wieder ein auf ein gemeinsames Essen am Silvesterabend. Doch Maximilian sagt, er komme gut klar, alles sei okay. Am Neujahrsmorgen sei er ausgeschlafen und fühle sich wunderbar, um den 1. Januar und das neue Jahr anzugehen.

Wie lange er die Verweigerungsnummer noch durchziehen wird? „Wenn mal eine feste Freundin für meinen Wiedereintritt in die Gesellschaft sorgen sollte, dann kann ich mir vorstellen, werde ich Silvester wie jeder andere entspannte Erwachsene verbringen.“

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