Richard Rother über neue Chancen auf dem Arbeitsmarkt: Hier kommen die Ausgegrenzten
Zumindest ökonomisch war das Jahr 2016 in Deutschland passabel. Mit erfreulichen Folgen: Weil die Wirtschaft brummt, immer mehr Menschen in Rente gehen und viele junge Leute lieber studieren wollen, suchen Unternehmen händeringend Facharbeiter und Auszubildende. Dabei sind nicht es nur die üblichen Verdächtigen, kleine Klitschen mit schlechter Bezahlung, sondern zunehmend auch große und seriöse Firmen: Verkehrsbetriebe, Industrieunternehmen, Energieversorger, Bahn und Post – sie alle werben aktiv für Nachwuchs. Davon profitieren zunächst die Umworbenen – aber auch die gesamte Gesellschaft.
Denn Menschen, die früher ausgegrenzt wurden, bekommen nun eine Chance: Alleinerziehende, Ältere, Schüler mit Lernschwächen, Flüchtlinge. Und: Wo Arbeitskräfte knapp werden, können sie bessere Löhne und Arbeitsbedingungen durchsetzen. Davon profitieren alle.
Mehr Chancen heißt aber nicht, dass alle sie nutzen können. Gerade bei den Flüchtlingen ist die bisherige Bilanz ernüchternd: Qualifizierte Jobs oder reguläre Ausbildungsverträge haben die wenigsten. Das hohe Niveau der dualen Ausbildung, insbesondere in der Berufsschule, können viele noch nicht erreichen. Das braucht Zeit – und viel Anstrengung von allen Beteiligten.
Bildung ist das A und O für die Integration in Arbeitsmarkt und Gesellschaft. Das gilt auch für diejenigen, die in Deutschland zur Schule gehen. Zwar werden Azubis dringend gesucht – aber die Kulturtechniken des Lesens und Schreibens, des Rechnens und Sich-Benehmens sollten sie schon beherrschen. Daran hapert es viel zu oft. Es ist, beispielsweise, ein Armutszeugnis für eine weltoffene Stadt wie Berlin, wenn an vielen Schulen nicht einmal jeder dritte Achtklässler die Mindestanforderungen in Mathe erfüllt, wobei der Wert für Jugendliche mit Migrationshintergrund noch schlechter ist. Das ist Schulversagen, das sich dieses Land nicht mehr leisten kann.
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