: Goliath gegen Goliath
CHAMPION I Gegen die sündteure Rotationsmaschine des FC Bayern ist kein Kraut gewachsen. Daran wird auch eine Niederlage gegen Dortmund nichts ändern
AUS MÜNCHEN THOMAS BECKER
In 202 Länder wird am Samstagabend das Spitzenspiel der beiden besten deutschen Mannschaften übertragen, und auch Marcel Reif gehört zu denen, die die Kunde vom Treffen der Branchenführer als Kommentator ins Land tragen werden. Er sagt: „Ich freue mich unglaublich auf das Spiel. Das ist wie ein Clásico. Das hatten wir in der Größenordnung schon lange nicht mehr zu bieten. Das sind zwei Mannschaften, die sich mit jedem auf dieser Welt messen können.“ Wie die Partie letztlich ausgeht, weiß selbst er nicht, aber eines steht für den Grimme-Preis-Träger fest: „Den Bayern dieses Jahr die Meisterschaft wegzunehmen wird sehr, sehr schwer.“
Wohl wahr. Die Roten haben sich geschworen: Es reicht! Weg mit Schwarz-Gelb! Nach fünf Pleiten in Folge gegen Dortmund wollen sie endlich wieder einmal gewinnen. Thomas Müller, dankenswerterweise immer noch nicht ins branchenübliche Floskelland ausgewandert, meinte am Mittwoch nach dem 2:0-Erfolg in Freiburg grundehrlich, man habe „zwei Jahre lang von Dortmund auf den Sack bekommen – das wollen wir natürlich irgendwann wieder umdrehen“. Will sagen: Sofort! An diesem Samstag! Und wenn möglich nicht bloß mit einem müden 1:0!
An Motivationsmangel dürfte es am Samstag jedenfalls nicht liegen.Marcel Reif sagt: „Ich glaube, da ist noch eine Rechnung offen. Das ist kein normales 3-Punkte-Spiel. Das wird zwar jeder sagen, das ist aber nicht so. Für Bayern geht es darum, Dinge zurechtzurücken, die aus ihrer Sicht entschieden falsch gelaufen sind in den letzten zwei Jahren.“
In erster Linie ist es die Breite in der Spitze des Kaders, wie Berti Vogts einst so schön sagte, die in diesem Jahr den Unterschied zwischen Bayern und Dortmund ausmacht. Im Gegensatz zur vergangenen Spielzeit glänzt der BVB heuer zwar in der Champions League, lässt dafür aber in der Liga so einiges an Punkten liegen – anders als die Bayern, die allein am letzten Spieltag zwei Punkte gutgemacht haben – trotz Auswärtsspiels. „Das sind die Spiele, die, wenn’s knapp wird, die Meisterschaft entscheiden“, stellt Marcel Reif fest, „nicht diese Finalspiele gegeneinander. Sondern diese Spiele, wo man sagt: ‚Boah, das Wetter stimmt nicht, der Gegner ist uns eigentlich nicht groß genug.‘ Das kennen die Bayern, aber das haben sie auch besser hingekriegt.“
Doch selbst wenn Bayern am Samstag nicht gewinnen sollte, ist bis zum Saisonfinale am 18. Mai gegen die sündteure Münchner Rotationsmaschine kein Kraut gewachsen. Reif sagt: „Die Bayern haben in ihrem Kader genau das repariert, was nicht in Ordnung war. Die Mannschaft hat sich letztes Jahr selber aufgestellt – das ist jetzt nicht mehr der Fall. Jeder weiß, dass da draußen mindestens einer sitzt, der es möglicherweise besser macht. Die Breite der Bayern ist überragend. Dortmund hat dagegen eine erste Garnitur, dann kommen noch zwei, drei, aber dann nicht mehr viel mehr, die auf höchstem Niveau einen Topspieler ersetzen können.“
Und dann spricht natürlich noch das Gesetz der Wahrscheinlichkeit für den Rekordmeister: Zum 18. Mal sind sie gerade Herbstmeister geworden, und nur dreimal haben sie sich danach die Meisterschaft wieder wegnehmen lassen: 1970/71 von Mönchengladbach, 1992/93 von Werder Bremen und letztes Jahr eben von diesem BVB. Der wird sich diesmal mit Platz zwei begnügen müssen und verstößt damit nicht mal gegen die Statuten: Anders als beim FC Bayern steht die Verpflichtung, zum Gewinn der Meisterschaft nicht in der Dortmunder Vereinssatzung.
CHAMPION II Weil Borussia Dortmund in den letzten beiden Jahren Fortschritte gemacht hat wie kaum ein anderer Verein in Europa, kann der derzeitige Rückstand zum FC Bayern den Klub nicht aus der Ruhe bringen
AUS DORTMUND DANIEL THEWELEIT
Mats Hummels hätte sich wirklich eine etwas bessere Erklärung ausdenken können, für seine kleine Kampfansage Richtung München. „Wir wollen unbedingt gewinnen“, kündigte der Dortmunder Verteidiger vor dem Spiel beim FC Bayern an. Wenn er etwa ergänzt hätte, dass der Rekordmeister mal wieder einen kräftigen Dämpfer verdient habe, damit es so richtig kracht an der Säbener Straße, dann wäre das eine schöne Geschichte gewesen. Hätte Hummels verkündet, die Dortmunder Meistertruppe wolle das BVB-Trauma der Bayern nach zuletzt fünf Niederlagen konservieren, wäre wenigstens der Eindruck entstanden, die Dortmunder hätten die Titelverteidigung noch nicht abgeschrieben. Hummels aber sagte: „Für uns wäre ein Sieg enorm wichtig, weil Bayer Leverkusen an uns vorbei gezogen ist.“
Die erbitterte Konkurrenz der Giganten um die nationale Vorherrschaft, die den Duellen der vorigen Saison diese herrlich dramatische Note verlieh, fehlt in diesem Jahr. Eher beiläufig hat Hummels unter der Woche erzählt, dass er den Glauben an die Titelverteidigung längst aufgegeben hat: „Es sieht ja nicht so aus, als ob wir die Schale holen.“ Es gebe „ja noch den DFB-Pokal und die Champions League“.
Dass der BVB seine größten Momente zuletzt im Europapokal hatte, ist kein Zufall. Der ganz große Hunger nach der Meisterschaft ist vorerst gestillt. In der Königsklasse haben sie noch etwas zu beweisen, während die Bayern auch in der Bundesliga „gieren“, wie Jürgen Klopp am Donnerstag feststellte. „Die Galligkeit“ des Rekordmeisters sei „sicher der größte Unterschied zum letzten Jahr“, bemerkte der Coach bestens gelaunt.
Borussia Dortmund ruht nach den beiden Erfolgsjahren so sehr in sich, dass sie wohl erst nervös werden, wenn die erneute Qualifikation für die Champions League in Gefahr gerät. Statt mit der etwas schwierigen Saison in der Liga zu hadern, wird hinter den Kulissen an einem langfristigen Plan gewerkelt: Der BVB möchte sich im Kreis der europäischen Spitzenteams etablieren und regelmäßig die K.o.-Runde der Champions-League erreichen. Selbst der ignorantere Teil Europas hat indes gemerkt, dass die Bundesliga rasant aufholt und hinter dem FC Bayern Klubs mit gewaltigem Potenzial wachsen. Dortmund ist dabei, die Pole Position in diesem Kreis der Emporkömmlinge zu erringen.
Derzeit strömen gewaltige Geldmengen nach Dortmund, wahrscheinlich gibt es in ganz Europa – abgesehen von den aus Osteuropa oder dem mittleren Osten alimentierten Vereinen – keinen Konkurrenten, der seine Einnahmen ähnlich steigern konnte wie der BVB. Das Team soll trotzdem nur behutsam verstärkt werden, und wenn Mario Götze, wie in dieser Woche von der Sport-Bild berichtet wurde, im Sommer für 37 Millionen Euro gehen dürfte, wären Transfers auf einem Niveau denkbar, die bislang nur von Großklubs aus England oder Spanien realisierbar waren. Jetzt gehe es um „den nächsten und ambitioniertesten Schritt“ hat Dortmunds Geschäftsführer gerade in einem Interview mit dem Kicker gesagt, um „die nachhaltige Balance zwischen nationalem und internationalem Geschäft“.
Etwas unklar ist nur, ob das mit der Vollgas-Fußball-Philosophie des Jürgen Klopp möglich ist, denn um die englischen Wochen erfolgreich zu bewältigen, sind Rhythmuswechsel hilfreich. Damit hat der BVB seine Probleme. Diese Saison ist eine Reifeprüfung. Drei Punkte aus München wären wertvoll, aber keineswegs kostbarer als drei Zähler aus Spielen gegen Nürnberg, Freiburg oder Düsseldorf.