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Reif für die Schrumpfkur

Doping Wie eine echte Reform des Olympischen Sports aussehen könnte – und warum Schluss sein muss mit dem Nationalmarketing

Andreas Rüttenauer

wurde 1968 in München geboren. Zehn Jahre lang war er Kabarettist (mit Helmut Schleich und Christian Springer). Dann ist er Sportreporter geworden. Von April 2014 bis September 2015 war er Chefredakteur der taz. Jetzt baut er eine Zukunftswerkstatt für die taz auf und treibt wieder Sport.

von Andreas Rüttenauer

In Russland ist schamlos gedopt worden. Das Entsetzen in der Welt des Sports ist groß, seit Anfang des Monats der zweite Teil des im Auftrag der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada zusammengestellten Reports zu den Dopingmachenschaften in Russland veröffentlicht worden ist. „Russland raus!“, wird nun immer lauter gerufen in der westlichen Sportwelt.

Die Bob- und Skeleton-WM 2017 wird nun doch nicht in Sotschi stattfinden. Dort war während der Olympischen Spiele 2014 besonders wild gedopt und manipuliert worden. Und weil es in dem Report auch Hinweise gibt, nach denen im russischen Fußballsport gedopt worden sein soll, sind Rufe laut geworden, den Russen die WM 2018 wieder wegzunehmen. Der Internationale Leichtathletikverband hat die Russen schon nach dem ersten Teil des Wada-Reports ausgeschlossen, und der Internationale Behindertensportverband hat dafür gesorgt, dass keine Behindertensportler aus Russland an den Paralympics teilnehmen dürfen. Wird alles gut, wenn nach und nach alle Russen aus dem Weltsport verbannt werden?

Das Böse ausmerzen

Es wäre jedenfalls eine einfache Lösung: eine, die suggeriert, man habe das Böse im Sport identifiziert und könne es ausmerzen. Und das Beste daran: Im Weltsport könnte dann alles beim Alten bleiben. Kann man das wirklich wollen? Wäre es wirklich wünschenswert, wenn der große sportliche Nationenkampf, der, über den Medaillenspiegel bei Olympischen Spielen ausgetragen, einfach so weiterlaufen würde wie bisher?

Ausgeblendet wird beim Russland-Verteufeln zudem die Frage nach dem Motiv für all die Manipulationen. Da geht es einem Land darum, sich durch Sporterfolge als besonders leistungsstark zu zeigen. Es geht um Siege an der Heimatfront, um die Beförderung von Stolz auf das eigene Land, das in kriegerischen Zeiten ganz besonders wichtig ist. Neoliberal gesprochen geht es um Nationalmarketing.

Und worum geht es bei der millionenschweren Spitzensportförderung in Deutschland? Um Wertevermittlung? Darum, dass die Jugend Vorbilder hat, was Fairness im Zusammenleben angeht? Diese Moral-PR wird zwar immer wieder gern bemüht, in Wahrheit geht es um nichts anderes als um Siege, um Medaillen – um Nationalmarketing eben. „Wir müssten nach der Tradition in beiden deutschen Staaten und nach unserer Wirtschaftskraft, mit der wir den Spitzensport fördern, mindestens ein Drittel mehr Medaillen bekommen, vielleicht mehr“, so drückt Sport- und Innenminister Thomas de Maizière das aus und widmet das dopingverseuchte DDR-Sportsystem und die Praxis des westdeutschen Dagegen-Andopens zur harmlosen Folklore um. 17-mal erklang die deutsche Hymne im Sommer bei den Spielen von Rio de Janeiro. Das Deutschlandlied, zu dem die Athleten gefälligst würdig dazustehen haben, soll viel häufiger erklingen bei sportlichen Großereignissen. So weit von der russischen Idee der Sportförderung ist sind die deutschen Sehnsüchte nun wahrlich nicht entfernt.

Wie wäre es also, alles Nationale aus dem längst wie ein Staatenbund auftretenden Internationalen Olympischen Komitee (IOC), soweit es eben geht, auszuklammern? Wie wäre es zum Beispiel mit gemischten Teams? Die Doppel im Tischtennis, im Tennis, beim Badminton könnten aus Sportlern unterschiedlicher Nationen gebildet werden. Trainingsgemeinschaften würden die Schwimmstaffeln bilden, nicht Landsleute. Und bei Individualwettbewerben könnte man zumindest auf die Hymne verzichten.

Vielleicht gibt es ja ohnehin etwas Interessanteres über die Siegerin zu berichten, als dass sie Tochter aus dem Hause der Nation XY ist. Sportler sind ja nicht selten Weltbürger, trainieren mal hier, mal da, haben ihre Sponsoren und Unterstützer längst auch außerhalb ihre Heimatlandes.

Und wenn man sich schon daranmachte, eine ganz große Reform des Weltsports zu machen, dann könnte man auch über mehr soziale Gerechtigkeit im Wettkampf nachdenken. Das futuristisch anmutende Bahnfahrrad, mit dem Kristina Vogel in Rio Olympiasiegerin im Bahnsprint geworden ist, hat 12.000 Euro gekostet, was sicher mehr als einen Hinweis darauf liefert, warum das Wettradeln auf dem Bahnoval kein Weltsport ist. Wie wäre es mit dem Zugang zu gleichen Geräten für alle Olympiateilnehmer? Und auch einen Zugang zu vergleichbaren Trainingsstätten könnte das durch TV- und Werbeverträge nicht gerade arme IOC vielleicht sogar finanzieren.

Anabolikaanfällige Heber

Die Dopingfrage durch freien Zugang zu leistungssteigernden Mitteln für alle Interessierten zu lösen ist im Sinne der Athletengesundheit vielleicht nicht die beste Lösung. Statt ein einzelnes Land oder einzelne Sportler auszusperren, könnte man aber darüber nachdenken, ein paar besonders anabolikaanfällige Sportarten aus dem Olympiaprogramm auszuschließen.

Es geht um Siege an der Heimatfront, um die Beförderung von Stolz auf das eigene Land

Oder gibt es in dieser Sportwelt irgendjemanden, der sagen könnte, warum Gewichtheben noch immer eine olympische Bühne hat? Beinahe im Wochenrhythmus werden positive Dopingbefunde aus der Welt der Heber gemeldet. Auch der Leichtathletik sollte man erst einmal eine Olympiapause verordnen. Die aktuelle Liste der wegen Dopingvergehens gesperrten Athleten ist 24 Seiten lang und umfasst mehr als 250 Namen.

Wie es mit dem Radsport ist, wo sich etliche Spitzensportler eine Asthma-Erkrankung attestieren lassen, wenn sie mehr Hübe aus einem kortisonhaltigen Inhalator nehmen wollen, als sie dürfen, sollte man sich ebenfalls überlegen.

Und auch der Langlauf müsste um seine olympische Existenz bangen, wenn wirklich stimmt, dass 42 norwegische Olympiamedaillengewinner Asthmamittel genommen haben und jungen Athleten ein Hub aus dem Medikamentenspray angeboten worden ist, bevor sie überhaupt wussten, dass sie krank sind. Und, und, und.

Das olympische Programm würde sich derart gesundschrumpfen, dass sich vielleicht mehr Bewerber finden, die die Spiele austragen wollen, weil sie sich das wieder leisten können. Aber vielleicht bräuchte es dann ja gar keine Bewerber mehr, weil es die Olympischen Spiele eigentlich gar nicht mehr gäbe?

Gar keine so schlechte Vorstellung.

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