: Potsdamer Parallelwelt
HOCHSCHULE Das Hasso-Plattner-Institut feiert Jubiläum. Seit zehn Jahren bildet Deutschlands einziges privat finanziertes Uni-Institut Softwareentwickler aus – bezahlt vom Namensgeber und SAP-Milliardär. Der schimpft zum Jubiläum über Vermögensteuer und Linksruck
VON SEBASTIAN PUSCHNER
Es ist ein trüber Vormittag in Potsdam, graue Novemberwolken liegen über dem Griebnitzsee. Doch auf der anderen Seite des S-Bahnhofs herrscht eitel Sonnenschein: Hier, an einem der drei Potsdamer Universitäts-Standorte, steht das Hasso-Plattner-Institut (HPI), erstes und einziges komplett privat finanziertes Institut einer deutschen Hochschule, Spitzenreiter im Bereich Informatik beim wichtigen CHE-Hochschulranking. In dieser Woche feiert das HPI sein zehnjähriges Jubiläum.
Darum sitzen nun auch ein Dutzend HPI-Studierende in ihrem Fachschaftsraum und debattieren. Es ist der Tag der zweiten großen Bildungsstreikdemonstrationen, 2.000 Menschen sind in der Potsdamer Innenstadt auf den Beinen, und die Studierenden wollen bei der abendlichen Geburtstagsgala Solidarität mit den Protestierern zeigen. „Wir heften uns Bildungsstreik-Buttons an die Anzüge, das macht das Thema sichtbar, ohne die Veranstaltung zu stören“, schlägt einer vor – und erntet breite Zustimmung.
Für drastischeren Protest – etwa die Besetzung des Audimax, in Potsdam seit über zwei Wochen im Gange – fehlt am HPI schlicht der Grund: Rund 50 Dozierende, davon 9 Professoren, unterrichten gut 450 Studierende im Fach „IT-Systems-Engineering“, also in der Entwicklung komplexer Softwarelösungen und Informationstechniken. Auf neun Studierende kommt also ein Lehrender – Betreuungsrelationen, an die viele Geisteswissenschaftler in Potsdam nicht in ihren kühnsten Träumen zu denken wagen.
Zwar gewinnen Mittel aus der privaten Wirtschaft für die gesamte Universität an Bedeutung, der Anteil an den sogenannten Drittmitteln deckt aber quer durch alle Fakultäten gerade einmal die Bezahlung von rund 50 Beschäftigten ab – so viele hat das Plattner-Institut allein an Dozierenden. Auch Computerarbeitsplätze – modernste Version – stehen am HPI in ausreichendem Maß zur Verfügung, ebenso schick sind die beiden zu Lehre und Forschung dienenden Gebäude des Instituts. „Die Professoren sind immer gut erreichbar, in Seminaren sitzen selten mehr als 20 Leute“, erzählt Master-Studentin Franziska Häger von ihrem vergleichsweise entspannten Uni-Alltag.
Harter Kampf um Plätze
Auch der in Bachelor-Zeiten allseits beschworene Praxisbezug sei am HPI vorbildlich: In Projekten entwickeln Studierende etwa ein neues Abrechnungssystem für die Bahn. Allein der Zugang ins studentische Schlaraffenland ist beschränkt: Um die 80 Bachelor- und 60 Master-Plätze bewirbt sich jedes Jahr ein Vielfaches von InteressentInnen. Konstantin Käfer hat das Auswahlverfahren anhand von Abiturnote, gewichteten Einzelnoten und Motivationsschreiben überstanden, er studiert im fünften Semester. „Ein ausschlaggebendes Kriterium für mich war die Nähe zu Berlin, vor allem aber auch, dass ich hier keine Studiengebühren bezahlen muss“, erklärt Käfer, der in Franken aufgewachsen ist, seine Entscheidung für das HPI.
Privat und trotzdem gebührenfrei – Hasso Plattner macht’s möglich. Gern erzählt der gebürtige Berliner und einstige Mitbegründer des baden-württembergischen Softwareherstellers SAP von jenem trüben Herbsttag vor mehr als zehn Jahren, an dem er am wissenschaftshistorisch bedeutungsschwangeren Potsdamer Einstein-Turm vorbeispazierte. „Warum hier nicht eine Universität gründen?“, habe er sich damals gefragt.
Aus der Universität wurde ein An-Institut der Potsdamer Alma Mater; mehr als 200 Millionen Euro pumpt Plattner, heute Aufsichtsratschef bei SAP, über einen Zeitraum von 20 Jahren hinweg in die das Institut tragende Stiftung. Ein weiteres großflächiges Gebäude wird demnächst fertig, zudem soll die Forschung ausgebaut werden: Der Milliardär spendiert zum 10. Geburtstag ein neues Labor und sorgt für den Ausbau des Doktorandenkollegs. „Unsere wissenschaftliche Leistung hat noch Luft nach oben“, resümiert Plattner nach einer Dekade HPI. Der Milliardär hat allgemein ein Faible für Potsdam: Für die Rekonstruktion der Stadtschlossfassade lässt er 20 Millionen Euro springen.
Bei so viel privatem Engagement ist es kein Wunder, dass die Liste der GratulantInnen zum Jubiläum lang ist: Angela Merkel, die vor knapp drei Jahren ihren „Nationalen IT-Gipfel“ am HPI abhielt, hat ein Grußwort geschickt, bei der festlichen Abendgala am Dienstag gaben sich Ministerpräsident Matthias Platzeck und Exbundesfinanzminister Peer Steinbrück die Ehre; Manfred Stolpe, der als Landesoberhaupt einst Plattner das Grundstück am Griebnitzsee zur Verfügung gestellt hatte, wurde als „HPI Fellow“ ausgezeichnet.
Kaderschmiede für SAP?
Doch allein auf geselliges Beisammensein im Kreise der SPD-Granden hatte Hasso Plattner keine Lust, die wiederbelebte Vermögenssteuer-Forderung der Sozialdemokraten stößt ihm ebenso auf wie das neue rot-rote Regierungsbündnis in Brandenburg. „Dunkle Wolken“ sieht der Mäzen für die Innovationsfreudigkeit in Deutschland heraufziehen; wisse doch „jeder Wirtschaftswissenschaftler außerhalb dieses Landes“, dass eine Vermögensteuer Unsinn sei. „Dem Gerhard Schröder hab ich das damals erklärt, und der hat es verstanden“, doziert Plattner.
Den politischen Ansichten ihres Gründervaters räumen die Studierenden am HPI nicht viel Relevanz ein. „Wer ihn in seinen Vorlesungen erlebt, merkt sein Engagement und sein Interesse für die Studierenden“, meint Franziska Häger. Und dass Plattner sich in Potsdam doch nur eine Kaderschmiede für SAP hingestellt und die nötigen akademischen Weihen eingekauft habe, wie manche auf dem Uni-Campus lästern, sei Quatsch. „Es ist überhaupt nicht so, dass später alle zu SAP rennen. Natürlich kann man leicht in Kontakt kommen, aber ich zum Beispiel hatte in meinem Studium noch nie etwas mit denen zu tun“, berichtet Konstantin Käfer. Tatsächlich besitzt das HPI zahlreiche verschiedene Unternehmen als Praxispartner, und die Absolventen können sich den Arbeitgeber oft aussuchen oder mit Startkapital aus dem von Plattner für Unternehmensgründungen aufgelegten Fonds selbstständig machen.
So viel angebotene Wirtschaftsnähe hat aber auch für die Studierenden ihre Schattenseiten: Lehrveranstaltungen müssen ab und an verschoben oder abgesagt werden – wenn ein Unternehmen die Räumlichkeiten gemietet hat. Das wiederum dürfte die Studierendenschaft am HPI ahnen lassen, weswegen ihre KommilitonInnen dieser Tage auch gegen Raum- und Kapazitätsprobleme protestieren.
Doch ein guter Draht zwischen den Studierenden am privatem An-Institut und dem Rest der Uni dürfte spätestens seit Ende 2007 eh hergestellt sein: Damals wurde ein eklatantes Datenleck im Onlinesystem der Hochschule zur Verbuchung von Leistungen und Belegung von Lehrveranstaltungen bekannt: Es war ein HPI-Student, der die Uni darauf aufmerksam machte, dass sensible persönliche Daten von allen Potsdamer Studierenden praktisch frei zugänglich waren, und damit für die Behebung sorgte.