Mensch, Maschine, Zebrastreifen

ARTWORK Das C/O Berlin stellt 400 Albumcover der jüngeren Musikgeschichte aus. Die Schau zeigt, wie Andy Warhol, Bernd und Hilla Becher sowie Robert Frank den Pop mit prägten

The Beatles: „Abbey Road“ (1969) Foto: Abb.: C/O Berlin

von Lorina Speder

Zum Thema Vinyl gab es zuletzt eine interessante Nachricht aus Großbritannien. In den vergangenen Wochen wurde dort erstmals seit langer Zeit wieder mehr Geld für Schallplatten ausgegeben als für Musik-Downloads. Das „schwarze Gold“ ist auf dem Markt stark wie lange nicht.

Die Rückbesinnung kommt wenig überraschend. In den Rillen der Platte wird die unsichtbare Musik quasi sichtbar gemacht – etwas, das man von CDs und Downloads nicht behaupten kann. Zusätzlich zur Materialität zieren die Schallplatten immer große Plattencover. Sie haben mehr als nur dekorativen Zweck: So gibt es einige ikonische Anwärter von Coverbildern in den letzten 50 Jahren, die den Zeitgeist perfekt getroffen haben.

Um genau diese Cover geht es in der neuen Ausstellung „Total Records – Vinyl & Fotografie“ im C/O Berlin. Für Antoine de Beaupré, einen der Kuratoren der Ausstellung, ist dieses Projekt ein persönliches Anliegen. Nach dem Musikstudium begann er Platten zu sammeln. Die langjährige Leidenschaft ließ ihn – einen Fotobuch-Spezialisten – hinterfragen, wer die Cover überhaupt fotografierte. Aus über 4.000 Albumcovern wurden für die Ausstellung 400 Exemplare ausgewählt und in der oberen Etage des Museums zusammengestellt. Oft decken die Coverbilder überraschende Beziehungsgeflechte und Freundschaften zwischen Musikern, Fotografen, Designern und Plattenlabels auf.

Das Foto auf der Innenhülle des selbstbetitelten Kraftwerk-Albums ist zum Beispiel keinesfalls Zufall. Es waren die Wegbereiter der Düsseldorfer Fotoschule Bernd und Hilla Becher, die das Schwarzweißbild des riesigen Transformators, also eines Kraftwerks, beisteuerten. Eindrucksvoll streckt sich das Bild über die beiden Innenseiten der Albumhülle.

Der Abbey-Road-Ze­brastreifen in London steht heute unter Denkmalschutz

Kraftwerk, Pioniere des Techno, haben den Diskurs über das Zusammenwirken von Mensch und Maschine geprägt. Für die in Düsseldorf ansässige Band war die Wahl der Arbeit des Künstlerpaars Bernd und Hilla Becher folgerichtig. Die seriellen Fotografien von Industriebauten der Bechers passten thematisch perfekt zu den Auffassungen und Ansichten der Band.

Warhol: Banane

Interessant ist in der Ausstellung auch, dass die Kontakte Andy Warhols in die New Yorker Musikszene Ende der 70er und 80er Jahre beleuchtet wird. Unvergessen ist hier das Siebdruck-Bananen-Cover, welches Warhol 1967 für The Velvet Underground & Nico kreierte. Damit nicht genug, er produzierte und vertrieb das Album, irgendwie galt er fast als Mitschöpfer des Werks. Durch Warhols Factory kam die Musik- und Kunstszene der damaligen Zeit zusammen.

Kraftwerk: „Kraftwerk“ (1970), Innencover

Auch Mick Jagger stand im Austausch mit dem New Yorker Zirkel. Da liegt es nahe, dass Warhol auch für die Stones ein Cover schuf. Im C/O Berlin hängt neben einem weiteren Warhol-Werk für John Cale das poppig-bunte Bild Jaggers, das die Platte „Love You Live“ dekoriert. Aber auch andere Stones-Cover werden in der Ausstellung gezeigt. Das für die Zeit ungewöhnliche Frontbild aus Zusammenschnitten mehrerer Fotos von Robert Frank für das Album „Exile on Main St.“ wird ebenfalls präsentiert. Die Zusammenarbeit mit dem in der Schweiz geborenen Fotografen und Filmemacher hatte sich damals genauso ergeben wie der folgende Film „Cocksucker Blues“. Der Film wird im Museum nicht gezeigt – oft fehlen auch Informationen zu Fotografen und Künstlern, wenn man nicht mit ihrem Werk vertraut ist. Trotzdem sind die vielen Aneinanderreihungen der Fotografien unterhaltend und laden dazu ein, sich weiter mit den Künstlern und den Cover-Aufnahmen zu befassen.

Zu guter Letzt wird das legendäre „Abbey Road“-Cover der Beatles geehrt. Das weltberühmte Bild, auf dem Lennon, McCartney, Starr und Harrison über den Zebrastreifen vor den Abbey-Road-Studios laufen, dürfte jedem bekannt sein. Bei der Gegenüberstellung der vielen Imitate mit dem Original wird klar, dass dieses Cover durch die Spontaneität und Nonchalance außergewöhnlich wurde. Anders als geplant entschloss sich die Band bei den Aufnahmen des letzten gemeinsamen Albums, das Titelbild einfach vor der Tür aufzunehmen. Innerhalb weniger Minuten hatte der Fotograf Iain MacMillan die Aufnahme im Kasten.

Der Zebrastreifen in London ist übrigens inzwischen unter Denkmalschutz. Der weiße Käfer, der sich zufällig auf dem Bild befand, wurde 1999 für umgerechnet 22.000 Euro versteigert – erworben hat es ein Historiker des Automuseums Wolfsburg, wo der Wagen heute ein Publikumsmagnet ist. Kein Wunder, ist das Cover von „Abbey Road“ doch ikonografisch geworden.

Total Records, Vinyl & Fotografie, noch bis 23. April 2017, C/O Berlin, Amerika Haus, Hardenbergstraße 22–24