Berliner Szenen: Wohnungsbesichtigung
Ein Festival
Wedding, Brüsseler Kiez, Wohnungsbesichtigung. Zwei Zimmer, Küche Bad, vierter Stock Seitenflügel, ruhig und frisch renoviert, 450 Euro warm ungefähr. Das geht ja noch, dachte ich, das gucke ich mir mal an.
Kein sehr origineller Gedanke, da kamen außer mir noch 100 andere Leute drauf. Das Publikum sieht aus wie auf einem schmucken Festival. Ich bin noch gar nicht sonderlich alt, aber hier sind alle derart jung, dass ich anfange, Sachen wie schmuck zu sagen. Oder vermaledeit. Vermaledeit, die Wohnung kriegst du nie.
Ein paar Leute sind älter als ich, die laufen durch die beiden Räume, das Bad und die Küche und rütteln fortwährend am Inventar. Im Schlepptau immer eine etwas sparsam dreinsehende jugendlichere Person, häufig mit Stoff im Haar; leer stehende Wohnungen sind wahrscheinlich das beliebteste Eltern-Kind-Ausflugsziel dieser Tage.
Einer der Herren, der sehr geschäftig hin und her rennt – fortwährend rutscht ihm seine plastikhimmelblaue Krawatte aus der Hose – zeigt auf den Flur und sagt triumphierend: „Schon klar, dass die davon kein Foto in die Anzeige gesetzt haben!“ Ich sehe mir den Flur genauer an: Es ist ein Flur. Ein Raum mit sehr vielen Türen. Es gibt eine Decke, einen Fußboden auch. Es ist alles in Ordnung mit diesem Flur.
Im hintersten Zimmer steht die Maklerin und beantwortet Fragen. Einer fragt, wie das mit der Bürgschaft funktioniert, dann noch einer, dann kommt der Mann mit Schlips und fragt, wie das mit der Bürgschaft funktioniert. Auch Bürgen, antwortet die Maklerin, hätten Gehaltsnachweise einzureichen, da guckt er säuerlich. Er läuft noch einmal durchs Zimmer und rüttelt an ein, zwei Fensterbänken, dann winkt er seinen Anhang zum Ausgang.
Im Hinausgehen sagt er: „Zur Not kaufen wir dir halt was.“ Frederic Valin
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